von Manuel Giron
Niemand hätte sich vorstellen können, dass an eben dem Tag, an dem ich auf die Welt kam, der Erzherzog diese nie mehr sehen würde. Wenige Wochen später befand sich ganz Europa im Krieg.
Im August 1914 wusste kaum jemand, wie der Krieg verlaufen würde. Kein Land hatte einen großen Flächenbrand vorgesehen. Als einzige Entschuldigung derer, die den Krieg entfesselt haben, kann man nur sagen, dass sie keine Ahnung von dem Leid und der Zerstörung hatten, die sie herbeiführen würden.
Der Tod kam und nahm brutale Formen an. Männer, die von Maschinengewehren niedergemäht, von explodierenden Granaten in die Luft gesprengt, auf Handels- und Kriegsschiffen getötet oder unter Panzerketten zerquetscht wurden.
Als der Krieg 1918 endete, war es für beide Seiten ein bitteres Ende. In diesem grausamen Kampf gab es nur Verlierer.
Während ich nun die Ereignisse des sogenannten großen Krieges erzähle, fragen sich einige von Ihnen vielleicht, wie es kommen konnte, dass sich eine Universitätsprofessorin für hispanoamerikanische Literatur, und gelegentliche Flamenco-Tänzerin für einen österreichisch-ungarischen Fotografen interessiert, wo wir doch praktisch nichts gemeinsam haben.
Anfangs zog uns seltsamerweise genau dieses Fehlen von Gemeinsamkeiten an, da wir beide eine ungewollte Scheidung hinter uns hatten, die uns das Herz gebrochen hatte. Wenn wir zusammen waren, brachen wir mit unserer jeweiligen Routine, indem wir bei einem Cappuccino oder einer heißen Schokolade über die verschiedensten Dinge sprachen. Ich brauchte ihr nicht einmal meine Liebe zu erklären, ein flüchtiger Kuss, leicht wie der Wind, genügte uns, um zu wissen, dass wir noch lange miteinander reden konnten. Und wir wurden Liebende, bevor wir ein Paar wurden.
Eines Nachmittags, als wir uns so unterhielten, holte ich eine kleine Schachtel mit einem Ring heraus und machte ihr einen Heiratsantrag. Adele fing an zu weinen, und ich bekam große Angst, weil ich dachte, ich hätte es vermasselt und würde mit meinem Antrag den Zauber zwischen Liebenden brechen, die ohne leidige Verpflichtungen lebten. Sie wurde rot wie eine Tomate vom Weinen, und ich kreidebleich wie ein Gespenst vor lauter Bangen. Nach langen Minuten der Unklarheit sah mich Adele an und sagte: „Wie lieb du doch bist!“ Und sie hörte auf zu weinen.
Lange Zeit waren wir glücklich. Manchmal glücklicher, als wir uns es je erträumt hatten, bis uns das Leben die erste Ohrfeige gab. Beide glänzten wir in unserem Beruf, wir waren brave Leute, ein glückliches Paar, mit besten Aussichten darauf, auch gute Eltern zu werden. Doch als wir uns schließlich dazu entschlossen, Kinder zu bekommen, entdeckte man bei mir eine mir bis dahin unbekannte Krankheit mit dem Namen «Azoospermie», die im Fehlen von Spermien in der Samenflüssigkeit aufgrund eines Chromosomendefekts besteht.
© Manuel Giron 2024-02-15