von Anni
Meine Hände schwitzten und das, obwohl mir an für sich kalt war, was für diese Jahreszeit normalerweise nichts Besonderes ist. Na ja, mal sehen wie lange das noch als normal gilt. Klimawandel und so. Mein Lehrer erhob sich aus dem Stuhl, der für seine recht stattliche Körpergröße äußerst unangebracht war. Seine Glatze, von der ich nicht verstand, weshalb er diese in seinem relativ jungen Alter schon trug, glänzte durch den Schein der Wintersonne.
“Gut, ihr nehmt euch gleich alle in Dreiergruppen ein Flipchart-Papier und macht zu einem Symptom eine Grafiz” , sagte er freundlich bestimmt. Es wunderte mich doch immer wieder wie ein so freundlich auftretender Mensch einen solch strengen Unterton haben konnte. Wobei mir dies vermutlich nur wegen des Wortes “Dreiergruppe” so schien.
Schon in einem Klassenraum mit mehreren Personen eingepfercht zu sein war schlimm. Blicke, die dich durchdringen, obwohl sie dich nicht treffen und du weißt, dass sie dich nicht treffen, aber dein Kopf trichtert dir ein, dass sie dich ansehen und verurteilen. Sie wissen mehr über dich als du selber. Sie kennen dich. Sie kennen dich zwar nicht wirklich, sehen dich nur jeden Tag in der Schule, aber ihre Gedanken über dich bilden deine Persönlichkeit. Und sie denken schlecht über dich. Du bist seltsam. Anders. Einfach nicht der Mensch, von dem man etwas Gutes, hübsches oder sinnvolles erwartet. Und in gewißer Weise unterstütze ich ihr Denken ja auch mit meinen Handlungen. Ich gebe mir nicht die geringste Mühe mich so zu kleiden wie sie. Wie auch ohne das nötige Kleingeld? Nur leider ritt mich schon früher der Drang anders zu sein, was nur noch mehr dafür sorgte, dass ich die “Andere” bin. Kommt es zu politischen Disskussionen, bin ich die Erste, die das Wort ergreift und breit meine Meinung preisgibt. Ansonsten halt ich den Mund. Ich melde mich zwar ab und zu, sage dann auch was Sinnvolles, aber mit den anderen reden war für mich schon immer ein rotes Tuch. Letztlich wurde danach eh gelästert oder ich bekam seltsame Blicke. Und ja, diese Blicke sieht man. Man spürt sie förmlich, also versucht mir nicht zu erklären, dass ihr mich nie seltsam fandet. Sonst hättet ihr mit mir geredet und mich eingebunden.
Eine Klassenkameradin mit lockigen braunem Haar holte mich aus meinen Gedanken. Ich riss unterm Tisch an meinen Fingernägeln und kaute auf meiner Lippe. “Willst du bei mir und Felina mitmachen? Wir haben noch keinen Dritten“. Ich nickte und stand auf. Natürlich war ich nicht die erste Wahl. Aber das störte mich schon des längeren nicht mehr. Ich bin froh die Schule gewechselt zu haben und nun in einer Klasse zu sein, die sich grundlegend mit Psychologie und Pädagogik beschäftigt. Da gehört es in gewißer Weise zum guten Ton auch die Außenseiter einzubinden. Ein herrlicher Vergleich zu meiner alten Klasse.
Als ich mich zu den beiden saß, herrschte eine unangenehme Stille. Felina sprach: „Hm, wollen wir erstmal lesen?” Ich nickte. Widerrede wäre für mich nicht möglich.
© Anni 2021-04-07