Es war keine angenehme Situation. Ich würde sogar sagen, es war der Tiefpunkt meines Versuchs, eine neue Form von Unternehmenskultur zu etablieren. Nun saß ich da und vor mir entfaltete sich ein absolutes Desaster. Vor einiger Zeit hatte ich damit begonnen einen neuen, positiven Spirit in meine junge Firma zu bringen. Eine Kultur der Wertschätzung und des Respekts. Aber irgendwie schien das nicht so ganz aufzugehen. Schon bei der Weihnachtsfeier ein paar Monate zuvor fiel mir auf, dass ein Grüppchen damit begann, sich abzusondern. Sie standen immer etwas abseits, tuschelten, wollten ganz offensichtlich nicht dazu gehören. Schon damals verursachte mir das ein komisches Bauchgefühl. Immer intensiver zog sich die Gruppe zurück – freundliche Miene nach Außen, während es hinter der Fassade längst brodelte. Bis ich das ganze Team eines Tages auf eine Motivationsveranstaltung schleppte – und danach alles Dämme brachen: „Fake-Kultur!“, „Gehirnwäsche!“, „Heuchlerei!“ – das waren vermutlich noch die freundlicheren Worte, die ein Teil des Teams für mein Unterfangen übrig hatte. Auf einmal waren sie für alle sichtbar, die zwei Fronten, die sich über Monate gebildet hatten und längst ihre Spur durch die ganze Firma gezogen hatten. Mein Plan, eine Unternehmenskultur zu etablieren, eine einzige Niederlage!
Ich war fassunglos. Wie konnte man mich nur so sabotieren? Ich war beleidigt. Wie konnte man diese gut gemeinte Anstrengung nur so herabwürdigen? Ich hatte Angst. Was, wenn das ganze zur Meuterei wird und nun alle mit Kündigung drohen? Ich war zornig. Wie konnte diese kleine Gruppe an Unruhestiftern mich nur in diese Lage bringen? Ich war depremiert. Was bin ich doch für ein armes Schwein, in meiner eigenen Firma von Menschen umgeben zu sein, die mich und mein Tun nicht schätzen?
Bis mir langsam aber sicher dämmerte, was ich so gar nicht sehen wollte. Es ist meine Firma. Ich bin der Chef. Ich habe diese Menschen ausgesucht. Ich habe sie an Bord geholt, sie gefördert und geführt. Ich bin es, der sich für diese Unternehmenskultur entschieden hat. Und ich bin es, der – mit deutlich Luft nach oben – versucht hat, sie dem Team zu vermitteln. Ich bin das Problem – und die Lösung. Ich habe die falschen Leute ausgesucht? Gut, ich lerne aus meinen Fehlern und werde es bei der nächsten Besetzung berücksichtigen. Ich habe mich davor gedrückt, unangenehme Gespräche zu führen und zugewartet, bis es zu spät war? Gut, ich lerne und werd’s besser machen. Ich habe unsere Unternehmenswerte nicht gut genug kommuniziert, sodass ein einseitiger Eindruck entstanden ist? Okay, ich werde es gerade rücken und Klarheit schaffen, so gut es mir gelingt.
Ein Team für schlechte Unternehmenskultur verantwortlich zu machen ist so, als würde man Kinder dafür verurteilen, dass ihnen niemand beigebracht hat, Bitte und Danke zu sagen. Es ist Führungsaufgabe. Diese Erkenntnis mag am Anfang schmerzhaft sein. Aber sie ist die einzige Chance auf Veränderung.
© Philipp Maderthaner 2021-06-28