von Tani Schipek
Ich höre den Schotter knirschen und sehe dich den Berg hinaufkommen. Du trittst, stehend, kräftig in die Pedale. Dein Fahrrad schwankt energisch von links nach rechts. Bei mir angekommen, schwingst du dich vom Sattel und lässt dein Rad einfach fallen. Dann lässt du dich selbst fallen, ins Gras, neben mich. „Sorry für die Verspätung. Mama hat Stress gemacht.“ „Schon gut, bin auch gerade erst gekommen.“ Das ist gelogen. Ich bin schon eine ganze Weile hier. Du kommst immer zu spät, ich bin immer zu früh da. So ist es schon immer gewesen. „Okay“, sagst du nur und weißt, dass ich nicht die Wahrheit sage. Dafür kennen wir uns zu gut. Du stützt dich auf deine Ellbogen und lässt den Blick über den Horizont schweifen. Wir sind auf einem Hügel, unserem Hügel, von dem aus man das ganze verkackte Dorf sehen kann. „Mann, ich kann’s echt nicht abwarten hier wegzukommen.“ Ich schweige. Klar, ich will auch hier weg. Das wollen wir beide schon so lang. Das ist so ziemlich das Einzige, wovon wir in den letzten Wochen geredet haben. Du hast viel mehr darüber geredet als ich, ich hab immer nur zugestimmt. Das ist noch so ein Ding, das schon immer so war. Du hast immer recht. Und selbst wenn du es nicht hast, tu‘ ich so als hättest du es. Ich glaub’ noch nicht mal, dass du das erwartest, aber ich würde niemals Unfrieden zwischen uns riskieren. In den ganzen letzten Jahren warst du der einzige Mensch, der etwas mit mir zu tun haben wollte. Du hast mich aufgenommen und aufgepäppelt, wie einen jungen Vogel, der verloren am Straßenrand liegt. Keine Hoffnung mehr bei jemand anderem Anschluss zu finden, selbst nicht bei der eigenen Familie. Also ja, ich will auch hier weg, weg von diesem Ort. Aber nicht weg von dir und das wird es automatisch bedeuten. Du hast so große Pläne, nichts Konkretes, aber groß in jedem Fall. Ich dagegen habe nichts, keinen Plan. Ich hab dir erzählt, dass ich wegziehe. Hab mir irgendwas ausgedacht, was von Uni und studieren gefaselt. Zu meinem Glück hast du nicht weiter nachgehakt, denn dann wäre ich vermutlich aufgeflogen. Ich denke, ich werde fürs Erste bei meinen Eltern wohnen bleiben, vielleicht such’ ich mir einen Ausbildungsplatz, wer weiß das schon. „Ist es nicht verrückt, dass wir so lange auf diesen Moment gewartet haben und jetzt ist er auf einmal da? Bald werden wir hier einfach nicht mehr sitzen und auf dieses Kaff gucken. Irgendwie komisch.“ Mhm, kriegst du etwa kalte Füße? Das sieht dir gar nicht ähnlich. Du rückst ein Stück näher und stupst mich mit deinem Ellbogen an. „Weißt du, ich hab dir das nie gesagt, aber ich hab ein bisschen Schiss, vor dem was kommt. Und dann noch so ganz ohne dich. Das wird echt hart.“ Und während du das sagst, sind unsere Gesichter so nah beieinander, dass ich deinen Atem riechen kann. Er riecht ganz leicht nach Erdbeeren. Es sind bei dir immer Erdbeeren. Erdbeereis, als wir als Kinder dem Eiswagen hinterhergerannt sind. Erdbeershampoo, als du im Freibad aus der Dusche kamst, nachdem wir den ganzen Tag dort verbracht haben. Erdbeerlipgloss, nachdem du ihn in meinem Beisein geklaut hast, ohne mir was zu sagen. Erdbeerbowle, als du mir beschwipst meinen ersten Kuss verpasst hast. Nur freundschaftlich natürlich, bevor es sonst keiner tut. Und jetzt bist es einfach du, die nach Erdbeeren riecht. Es sind immer Erdbeeren. Du bist Erdbeeren.
© Tani Schipek 2025-05-04