von Martink
Der Sommer ist vorbei, auch wenn wir ihn noch festhalten wollten. Die Kälte kommt schleichend, bringt eine leise Schwere mit sich – und vielleicht ist das genau richtig so. Wir sehnen uns das ganze Jahr nach dem Sommer, trauern ihm nach, wenn er geht. Aber vielleicht brauchen wir genau das, dass er endet, wie alles einmal enden muss. Denn nur so verstehen wir, dass nichts für immer bleibt, und dass auch im Vergehen ein stiller Trost liegen kann.
Ich traf dich, als der Herbst begann, als die Blätter ihre Farben wechselten und die Luft kühler wurde. Während die Tage kürzer und trüber wurden, verschwand das Leben aus den Straßen, und die Menschen zogen sich in ihre gemütlichen Wohnungen unserer grauen Stadt zurück. Du aber tratst plötzlich in mein Leben, unerwartet wie eine warme Brise an einem kalten Tag. Von dem Moment an, als ich dich sah, warst du in meinen Gedanken. Du warst mein Sommer im Herbst, ein Lichtblick inmitten des sich ausbreitenden Grauens. Als ich dich zum ersten Mal sah, durchfuhr es mich plötzlich – es war nicht wirklich unser erstes Treffen. Ich erinnere mich, dass ich dir schon einmal begegnet war, doch damals war der Moment nicht richtig. Unsere Wege hatten sich zwar gekreuzt, aber du warst nur ein flüchtiger Hauch in meinem Leben, ein Schatten, der zu früh kam. Vielleicht sollte es so sein, vielleicht warst du noch nicht für mich bestimmt. Es schien, als ob das Universum uns noch etwas Zeit geben wollte – Zeit, um zu wachsen, um uns zu entwickeln, bevor unsere Begegnung Bedeutung gewinnen konnte. Manchmal müssen wir erst lernen, zu sehen, bevor das, was vor uns steht, wirklich sichtbar wird. Und damals, das weiß ich jetzt, war ich noch nicht bereit, dich zu erkennen. Es war im Sommer, aber seien wir mal ehrlich: den Sommer im Sommer zu erleben, ist nichts Außergewöhnliches. Die warme Sonne und das Licht, das die Welt zum Erblühen bringt, sind zu dieser Zeit einfach eine Selbstverständlichkeit. Doch dich, den Inbegriff des Sommers, inmitten des kühlen, düsteren Herbstes zu finden, das war anders. Es war, als ob ein unerwarteter Sonnenstrahl durch das trübe Grau brach und mich wieder an das Licht erinnerte. In dieser Zeit, in der die Welt sich auf das Verblassen vorbereitet, hast du mir gezeigt, dass das Strahlen nicht nur für den Sommer reserviert ist – dass wahre Wärme manchmal genau dann kommt, wenn wir sie am wenigsten erwarten.
Es ist unser erstes Gespräch, und ich fühle mich dabei ein wenig merkwürdig. Ich ertappe mich, wie ich dich ununterbrochen anstarre. Wann habe ich zuletzt jemanden so intensiv betrachtet? Mit einer solchen Leidenschaft, als könnte ich durch meinen starren Blick eine mir bisher unbekannte Verbindung zu dir aufbauen.
Das Erste, was ich nach deinen geheimnisvollen Augen betrachte, die in einem schillernden Farbspiel schimmern, dessen Nuancen ich nicht ganz fassen kann, sind deine Hände. Sie sind schlank und elegant, mit einer perfekten Form, die sowohl Stärke als auch Sensibilität ausstrahlt. Die Haut ist zart, fast weich, und nur wenige Adern zeichnen sich sanft darunter ab. An den Fingern glänzen einige Ringe, die deinem Erscheinungsbild eine besondere Note verleihen. Ich kann nicht anders, als sie mir immer wieder vorzustellen – wie sie sich bewegen, Dinge greifen und mir vielleicht irgendwann eine Berührung schenken könnten.
© Martink 2024-10-01