Du bist schön – weil du, du bist

Lia Pipa

von Lia Pipa

Story

Vor geraume Zeit war ich mit den Öffis unterwegs zu einem Termin. Dank Corona nutzen diese gerade recht wenig. Oder ich hab Glück, wenn ich auf Reisen bin. Kein Gedränge, kein Gequetsche. Alle brav auf Babyelefanten-Abstand. Das find’ ich, abgesehen, von der bedauerlichen Ursache für diese Maßnahme, ziemlich gut.

Davor fiel mir beim Busfahren öfter der Songtext „keinen Zentimeter“ von dem Sänger Clueso ein. Allerdings auf weniger romantische Art und Weise. Besonders im Sommer nervt es tierisch, wenn dir ein Mit-Fahrgast seine Kebap-Leberkas-oder-sonstwas-Ausdünstungen dank Unterschreitung eines Abstandes von gefühlt zwei Zentimetern olfaktorisch um die Nase haucht. Dreht man sich aus dieser Gefahrenzone, steckt man mit dem Riechkolben möglicherweise in der schweißnassen Achsel des nächsten Öffi-Kollegen.

Beide Probleme hatte ich nun schon lang nicht mehr. Zum einen liegen im Herbst und Winter nicht so viele Achseln frei, zum anderen führt der Mund-Nasen-Schutz (was ist da die Mehrzahl? Mund-Nasen-Schütze?!) zu einem geschlossenen Kreislauf der Aus- und Ein-Dünstung beim jeweiligen Verursacher. Der Sicherheitsabstand tut sein Übriges.

Was ich an öffentlichen Verkehrsmitteln liebe, ist, dass man viele verschiedene Charaktere zu Gesicht bekommt: Gestresste Personen, gechillte Menschen, große oder kleine Mitfahrer*innen wechseln sich ab mit dicken und dünnen Begleiter*innen. Junge und Alte, ebenso Kinder, weibliche, männliche oder diverse Zeitgenoss*innen steigen ein und wieder aus. Manche sind Grantscherben, andere strahlen von innen wie die Sonne.

Diesmal saß ein paar Reihen vor mir eine Jugendliche, ungefähr 17 Jahre, stark geschminkt, bewaffnet, wie könnte es anders sein, mit ihrem Handy. Ohne Mobiltelefon sind die Nachzöglinge ganz selten in freier Wildbahn anzutreffen. Wobei… Ich auch. Ich frag mich, wie das früher so ging. Aber ich schweife ab.

Die schick manikürten Finger mit überlangen, durchgestylten Nägeln umfassten gekonnt jenen Knopf, der hinten am Telefon klebt, um besseren Halt zu garantieren. Und guter Halt ist wesentlich, wenn man gefühlt 7378 Selfies in sämtlichen Posen schießt. Da wird das Haupt samt Haar von links nach rechts geschleudert, das Kinn kokett nach vorn gereckt. Nein, doch wieder zurück. Weil: Kein Mensch braucht ein zweites Kinn hinter dem Ersten. Lasziv gezwinkert, lange Mähne wieder auf die andere Seite. Seitlich gucken, finster ducken, Duck-face, Ape-visage, Crocodile-smile und Konsorten. Ein wahres Repertoire, was das junge Fräulein an den Tag legt. Doch mit keinem scheint sie zufrieden zu sein.

Das finde ich schade. Vor lauter Posen sieht sie überhaupt nicht, wie schön sie ist. Ein Phänomen, das viele Menschen begleitet und auch mich immer wieder mal einfängt. Dabei geht’s doch gar nicht um Doppelkinn, Falten, Stirnrunzeln, Gewicht oder die (scheinbar) falsche Perspektive. Schönheit kommt von innen. Der Rest sind nur Oberflächlichkeiten.

© Lia Pipa 2021-01-29

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