von Mariel
-wie wir uns nie kennenlernen werden-
Du stehst so dar in deiner schwarzen Jacke und mit deinem blonden Haar. Deine Locken schauen unter deiner ebenso schwarzen Mütze hervor und fallen so durcheinander. Meine braunen Locken tun dasselbe. Zumindest der Teil von ihnen der nicht in meinem halb zerzausten Dutt auf der Mitte meines Kopfes durch mein dunkel grünes samt Haargummi gehalten wird. So wie das Haargummi meine Haare hält so halte ich die halb leere Flasche Rotwein in beiden meiner Hände. Du hältst in deiner linken Hand dein Bier und gleich ist es auch fast schonwieder vier und ich und du stehen wie so viele andere auch immer noch hier. An der Kreuzung. Die ironischerweise auch die Kreuzung unserer Wege ist. Aber was rede ich? Ich habe mich mal wieder hinreißen und herleiten lassen, von den gleichen Freunden wie immer durch die gleichen Gassen wie immer. Immernoch begleitet durch die gleichen Laster. Was sind wohl deine. Und jetzt stehe ich hier und komme nicht drum rum zu denken: Was wäre, wenn ich einfach liefe? Denn man hat ja oft so viel weniger zu verlieren als es zu gewinnen gäbe. Und du, du guckst zwar ab und an mal rüber und vielleicht sogar auf mich aber sicher bin ich mir da eben nicht. Denn zum einen hängt mir schon seit Stunden diese eine Strähne im Gesicht und zum anderen bin ich mittlerweile auch mehr als lediglich medium dicht. Aber Du. Du stehst so dar und ich würde mir wünschen, dass du wirklich auf mich blickst. Denn ich blicke ja auch auf dich. Mit deinen blonden Locken und dem freundlichen Gesicht. So langsam wird mir trotz des Weines kalt, der mittlerweile halt auch so gut wie leer ist aber trotzdem noch in meiner Hand. Den ich nicht mehr festhalte, sondern an dem ich mich festhalte. Vielleicht ein wenig zu sehr, aber du hast auch immer noch dein Bier in der Hand. Oder vielleicht auch nur ein Bier. Oder auch ein Weiteres. Woher sollte ich das wissen wir zwei kennen uns ja nicht. Doch ich glaube, ich würde das gern ändern. Denn ich höre seit Stunden nicht mehr meiner Freundin, sondern den Lauten von der anderen Straßenseite zu, denn da stehst du, oder halt auch nicht denn jetzt kommst du auf mich zu. Über die rote Ampel und das Kopfsteinpflaster und die Straßenbahnschienen fängst du an einfach loszugehen mit so unfassbar leichten Schritten. Vielleicht ja wirklich auf mich zu. Auf das Mädchen in dem zu viel großen und doch nur knapp nicht zu kurzem karierten Mantel. Das Mädchen mit den zerzausten Haaren und dem quasi leeren Wein in den sonst auch oft so leeren Händen. Und ich gehe: Geradeaus, weil selbst solltest du nichts sagen wäre das mein weg nach Haus und so gehe ich und du gehst und dann stehst du; vor mir und mittlerweile ist es weit nach vier. Jetzt stehe ich so vor dir; und ich stoß an, mit meinem Wein an deinem Bier. Und du lächelst, also mache ich das auch.Und während du so in meine wirklich müden und doch großen braunen Augen schaust, denke ich: Wer weiß vielleicht machen wir uns später ja doch noch gemeinsam auf den Weg nach Haus.
© Mariel 2021-03-28