von Lene Wollmer
Nirgendwo ist man so allein und von so vielen Menschen umgeben wie im Krankenhaus. Was stimmt mit einer Gesellschaft nicht, in der Menschen vereinsamen, obwohl sie Bett an Bett, Zimmer an Zimmer liegen?
Ich traue mich nicht zu sagen, dass du gerade nicht mehr aus meinem Kopf rauskommst. Ich will es nicht und wünsche mir gleichzeitig permanent, nicht allein zu sein. Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich es schön fände, wenn du da wärst.
Alles erinnert mich irgendwie an ihn. Manchmal frage ich mich, ob ich ihn gerne noch einmal neu kennenlernen würde. Wieder ein „Was wäre wenn“.
Was würdest du gerne noch einmal zum ersten Mal erleben? Wohin führen all diese Gedanken – und was, wenn es einem dort nicht gefällt, wo sie einen hingebracht haben? Meistens hilft der Austausch mehr als das stille Grübeln. Was wäre, wenn – und was, wenn nicht?
Dass ich dich vermisse, ist etwas Neues, und es soll aufhören. Wie viel kann ein Mensch vermissen? Und ist es dann nicht das Beste, zumindest das, was noch da ist, zurückzuholen?
Ich musste nie lange überlegen, wen ich vermisse. Da war nie Raum für jemand anderen. Vielleicht war ich gelangweilt. Die Trauer macht mich müde, und ich suche einen Grund, sie zu betäuben.
Du erinnerst mich an Liebe. Nicht nur, weil ich deine Liebe gespürt habe, sondern weil du mir gezeigt hast, dass ich lieben kann. Du erinnerst mich an Liebe – und an meinen Papa. Ich weiß noch nicht, was stärker ist. Es fühlt sich so neu an, dich auf diese Art zu vermissen. Früher habe ich dich vermisst und konnte dich trotzdem haben. Nun bist du irgendwie ganz woanders und so unerreichbar für mich.
Du erinnerst mich an Liebe, und alles erinnert mich an dich. Plötzlich spüre ich jede Emotion auf einmal. Ich habe Angst zu weinen. Vielleicht ist es das Einzige, was sich gerade nach einer vertrauten Reaktion anfühlt. Ich habe vergessen, wie es ist, jemanden zu haben, der einem so wichtig ist, dass man ihm ein Flughafenschild machen will – und es dann doch lässt, weil nichts gut genug scheint. Weil kein Schild der Welt ausdrücken kann, wie sehr ich mich freue, ihn zu sehen. Ich denke, ich werde mindestens eine Dreiviertelstunde zu früh am Flughafen sein. Genug Zeit also, um sich ein Beispiel an all den anderen Leuten zu nehmen, die sich zur Begrüßung in die Arme fallen. Vielleicht ist die Angst das Zeichen, dass es wichtig ist. Früher war es fast romantisch, dich zu vermissen – ich konnte dich ja trotzdem haben. Es war ein erreichbares Vermissen. Jetzt bist du wirklich weg, und ich weiß nicht mal, ob du mich noch magst.
Ich glaube, wenn man einmal geliebt hat, bleibt da immer ein Stück dieser Liebe zurück. Ein schöner Gedanke, der gerade doch eher beängstigend wirkt.
© Lene Wollmer 2025-02-27