von Beederl
Du bist nun schon seit einigen Jahren tot. Das hat mich sehr getroffen, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zusammen waren. Nun sitze ich da und überlege, was ich tun könnte. Schlafen gehen – nein. Fernsehen – nein. Klavier spielen – nein. Computer spielen – nein. Lesen – nein. Und ich nehme mir das neue Rätselbuch, das eigentlich für meine Enkelkinder gedacht war, sich aber dann herausgestellt hat, dass es ihnen doch noch zu schwer ist. Ich suche mir ein Schwedenrätsel und beginne…
Da funkst du herein. Das habe ich vorher nicht und nachher nie mehr erlebt. Du hast deinen rechten Arm um mich gelegt und über meine Schulter hinweg eine Zeile des Rätsels ausgefüllt. Dann war ich dran. Und immer so fort. Egal welches Rätsel wir gefunden hatten. Du hast mich auch selten in den Arm genommen, warst gefühlsmäßig sehr geschädigt. Aber da hast du diese Nähe erfunden. Ich habe dich so gerne gespürt, so gerne gerochen. Du warst so weich und deine Haut war unendlich glatt. Nirgends war ein Härchen zu viel, du hattest keinerlei Unebenheiten, obwohl du ein alter Mann warst. Tränen steigen auf. Du hast mich so oft kalt und unnahbar behandelt, mir nicht die erhoffte Nähe und Zärtlichkeit gegeben. Du warst auf allen Ebenen ein Narzisst par excellence. Ich habe es entschuldigt, weil ich wusste, du kannst nicht anders, habe oft mitgespielt, weil manche Passagen durchaus ihren Reiz hatten. Aber du hast mich verletzt, mir sehr weh getan und oft dachte ich, du weißt es, möchtest aber daran nichts ändern. Ab und zu ist deine Zärtlichkeit durchgeblitzt, sodass ich wieder Hoffnung schöpfen konnte. Doch sie war meist nur von kurzer Dauer.
Dann bist du wieder auf der Bildfläche erschienen wie der Krösus in Person – mit Fanfarenklang. Versagtest mir das Begrüßungsbussi, schwebtest mit dem Riesenblumenstrauß und einem breiten Grinsen an mir vorbei. T A T A da bin ich! Und stets fragtest du „bin ich nicht gut“? Ich schüttelte den Kopf und meinte „sowas fragt man nicht“. Du hast dich kleinweise zum Ekel entwickelt. Ich weinte mich im Zimmer daneben in den Schlaf, es war dir egal, du ignoriertest es gekonnt, du konntest ja nicht anders. Und heute, viele Jahre später, spürte ich dich so nahe, ich fühlte mich von dir in den Arm genommen. Ich spürte wie du meinen Kopf und meine Haare berührtest und ich habe es so genossen. Es waren meine Stunden der Zärtlichkeit.
Ich konnte dir nichts vorwerfen – du warst ein ausgezeichneter Liebhaber. Obwohl ich mich frage, wie man nur Sex haben kann, ohne zu schmusen. Und jetzt erinnere ich mich nicht einmal mehr daran, ob wir währenddessen geküsst haben. Ja, mich wild flach legen, das konntest du. Ich habe es sehr genossen, da ist dir oft etwas eingefallen. Doch beginnen konntest du nicht zärtlich, da musstest du dich auf mich draufschmeißen, dass ich lachen musste. Auch weil ich wusste, dass das, was jetzt kommt, gut war. Und heute bin ich mir nicht einmal sicher, ob das ehrlich war, du es auch genossen hast oder ob es nur, wie so vieles, Schauspiel war. Ach Andreas, du warst so besonders, es war eine Hochschaubahn der Gefühle. Es wird dir kein anderer mehr das Wasser reichen können, weil für mich Intelligenz und Bildung so sexy sind.
© Beederl 2025-05-05