von Christian König
Ich glaube fest daran, dass das Leben nicht einem chaotischen Zufallsprinzip unterliegt. Manche Ereignisse erscheinen mir wie eine Prüfung. Bestehe ich, komme ich ins nächste Level. Versage ich, ziehe ich eine weitere Zeitschleife. Diese Geschichte handelt von einer solchen Prüfung, Es liegt im Auge des Betrachters, ob es sich dabei nur um eine unglückliche Verknüpfung von Zufällen oder um eine spirituelle Erfahrung handelt.
Diesen Sommer versuchte ich mich im Berglaufen. Das Gipfelkreuz unseres Hausbergs auf 1.700 Meter zu erreichen, ohne die markierten Wanderwege zu benutzen schien mir ein echtes Abenteuer zu werden und die sind in Pandemiezeiten ja nun wirklich rar gesät. Es war Anfang August als ich aufgrund eines unerwarteten Besuchs einen erneuten Gipfelsturm erst am späten Nachmittag startete. „Ist ja eh nur der Hausberg!” beschwichtigte ich. Mit Rehbock-artig schnaufenden Atem zog ich zielstrebig Richtung Gipfel. Nach gut zwei Stunden war der Punkt erreicht, an dem ich eigentlich umdrehen hätte müssen. Doch es erschien mir sinnvoller zum mir bekannten Wanderweg hoch zu stürmen, den Abstieg könnte ich auf diese Art schneller bewältigen als quer durchs Gelände zurück. Nun ja, es sollte anders kommen. Das Ausmaß des Gipfelplateaus hatte ich falsch in Erinnerung. Alles war voller Latschen die sich, undurchdringlich, aneinander reihten. Darunter versteckten sich Dolinen die ich anhand fallender Steine bis zu fünf Meter tief schätze. Unter den Latschen war es längst zu dunkel geworden um den Boden der schwarzen Löcher erkennen zu können. Plötzlich setzten Krämpfe in beiden Waden ein und ich spürte Panik in mir aufsteigen. Hier oben verschwitzt übernachten zu müssen würde kein Spaß werden. Ich dehnte einige Minuten meine Beine und startete erneut durch. Meine Sinne geschärft wie selten zuvor. Ich fokussierte auf Trittsicherheit. In meinem Kopf war nur noch ein Satz: „Du musst den Berg überqueren! Du musst den Berg überqueren“! Um ca. 22 Uhr fand ich schließlich den Wanderweg. In der Dunkelheit übersah ich dann einen Stacheldraht und stieß mir die Spitzen tief ins Fleisch. Als ich auf eine Forststraße gelangte, entschied ich mich dieser zu folgen da sie mehr Licht reflektierte. Insgesamt war ich in jener Nacht über 7 Stunden unterwegs, überquerte den gesamten Bergrücken hinter unserem Haus und legte eine Strecke zurück deren Luftlinie 10,71 km beträgt. Unaufhörlich lief ich mit der Milchstraße über mir, verirrte mich nochmals und kam nach einer Stunde Laufzeit wieder an dieselbe Kreuzung. Beim nächsten Versuch nahm ich den anderen Weg und erreichte um 2:30 bewohntes Gebiet von wo aus ich endlich telefonisch zu Hause Entwarnung geben und um Abholung bitten konnte.
Zurzeit stehe ich in meinem Leben vor großen Herausforderungen. Diese Nacht hat mich gelehrt, dass wenn ich wo einen Weg vermute, ich diesen auch aus eigener Kraft finden werde. Ich muss nur den Berg überqueren!
© Christian König 2021-08-27