“Du warst ebenso dumm wie ich”

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Ein tiefer Riss zog sich durch unsere 20-jährige Ehe. Entscheidungen wurden fällig. Wir entschieden uns zum Bleiben und das allein bewirkte eine so große Erleichterung, dass wir anfingen, wieder an unsere Liebe zu glauben.

Das wollten wir zelebrieren und fuhren zum ersten Mal ohne Kinder auf Urlaub. Die großen Buben betreuten Jakob, unser besonderes Kind, und meine Mutter – obwohl schon recht alt und gebrechlich – fungierte als graue Eminenz im Hintergrund. Ein günstiges Angebot in Tunesien erfüllte unser beider Wünsche – Meer und Wüste und so flogen wir allen Alltagssorgen davon – über die Berge, über die Wolken, über das Mittelmeer.

Das Hotel direkt am Strand mit kleinwinzigem Balkon und seitlichem Meerblick schien uns himmlisch. Zum Baden war es noch zu kalt im April, aber wir machten lange Strandspaziergänge, schlenderten durch die Souks von Sousse, tranken Cafe in Straßenbars und waren vergnügt über so viel Freiheit. Einmal gerieten wir in die rote Zone. Plötzlich merkten wir, dass keine Waren den Weg säumten und uns niemand mehr bedrängte, etwas zu kaufen. Wir befanden uns in einer engen Gasse, in der links und rechts Türen offenstanden mit Blick auf Diwane, worauf sich spärlich bekleidete Damen räkelten. Es war uns nicht ganz geheuer und als drei Männer mit grimmigem Blick hinter uns auftauchten, beschleunigten wir unsere Schritte und waren heilfroh als wir wieder in belebtere Straßen zurückfanden. Ich habe mich nicht getraut, einen Blick zurückzuwerfen oder ein Foto zu machen.

Um in die ersehnte Wüste zu kommen, buchten wir eine zweitägige Fahrt in den Süden. Wir durchquerten die um diese Jahreszeit blühende Steppe, erlebten Matmata, wo Berber noch in Höhlenwohnungen leben – bester Schutz vor Hitze und Kälte. Viele lehnten die Umsiedlung in für sie gebaute Häuser ab. Die Mondlandschaft, wo Krieg der Sterne gedreht wurde beeindruckte uns und dann tauchte bei Douz die erste Sanddüne auf. Tunesien beginnt an den grünen Küsten des Mittelmeeres und endet irgendwo in den unbewohnten Weiten der Wüste.

Fröhlich und unbeschwert ritten wir auf Kamelen in den Sonnenuntergang. Auf dem Rückweg begleitete uns ein zauberhafter Mond über bleichem Sand und gespenstigen Palmenskeletten. Der Sand schaut bei Nacht wie Schnee aus – Schnee in der Sahara! Wir übernachteten in einem Oasenhotel und schwammen verbotenerweise in der Nacht im Pool. Im Bett lasen wir uns gegenseitig vor: er mir – aus Tausendundeiner Nacht; ich ihm – aus Der Kleine Prinz: “Aber ja, ich liebe dich, sagte die Blume. Du hast nichts davon gewusst. Das ist meine Schuld. Es ist ganz unwichtig. Aber du warst ebenso dumm wie ich.“ Wir hielten uns fest – die ganze Nacht!

Im Morgengrauen hörten wir Esel und Kamele schreien. Als wir die Vorhänge zurückzogen, wussten wir, warum. Ein Sandsturm war aufgezogen. Es war, als ob die Welt sich im Kreise drehte und ein Schleier sich darüber breitete. Wir breiteten wieder die Decke über uns und schliefen zwischen Wachen und Träumen.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-02-14