von Nick Richter
Wir setzten uns einander gegenüber ins Gleisbett. Ich riss einen der langen grün-gelben Halme ab, die inmitten der aufgeschütteten Steinen wuchsen und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Mir ist es lieber, wenn das alles einem Sinn zugrundeliegt, den ich nicht verstehe als wenn es einfach nur so geschehen ist. Ohne Grund.«
»Aber wenn schlimme Dinge einen Sinn haben«, entgegnete ich, »muss es etwas geben, dass diesen Dingen einen Sinn gibt. Ein Zweck entsteht doch nicht aus sich selbst heraus.«
»Spielst du auf Gott an?«
»Keine Ahnung was es ist, aber es ist in jedem Fall deprimierend. Ich glaube, das Schlimmste für mich wäre zu glauben alle Entscheidungen, Wünsche und … naja, alles Leben hätte irgendeine Bedeutung.«
Wir sahen uns an, einige Augenblicke verstrichen. Dann brachen wir in Gelächter aus. Als wir uns wieder etwas beruhigt hatten fragte Ellie: »Du hältst also alles für sinnlos?«
»Ja, so ziemlich.«
»Wie fühlt sich das an?«
»Eher nicht so gut«, gab ich zu.
»Suchst du nach einem Sinn?«
Ich nickte. »Denke schon.«
»Also … hast du dieses Konzept der Sinnlosigkeit zwar als deine Wahrheit angenommen, aber du akzeptierst sie nicht?«
Ich überlegte. Sie hatte Recht. »Das klingt ziemlich dumm von mir«, sagte ich. Ich streckte mich aus und bettete meinen Kopf auf eine der gesprungenen Holzschwellen. Der Mond, heute eine blassblaue Sichel vor dem dunkler werdenden Himmel, stimmte mich melancholisch.
»Ich hab was, um dich aufzumuntern«, meinte Ellie. »Als ich ein Kind war, hielt mir mein Vater ständig vor, wie gut ich es habe. Schließlich hatte ich ständig Ferien, Zeit zum Spielen und keinerlei Verpflichtungen. Und klar, das stimmte, aber für mich klang das immer wie ein Vorwurf.«
»So als ob du etwas dafür könntest?«
»Genau. Ich denke, er war bloß eifersüchtig. Aber er wusste nicht, was er damit in mir anrichtete. Ich wollte meinem Vater auf irgendeine komische Art beweisen, dass mein Leben auch hart ist. Also begann ich eine Menge falscher Entscheidungen zu treffen. Mir selbst Steine in den Weg zu legen.«
»Wow.« Ich dachte nach.
»Ich mache das immer noch, falls du dich fragst«, sagte Ellie schnell. »Ich kann einfach nicht damit aufhören. Es ist, als hätte ich nie gelernt Dinge zu tun, die gut für mich sind.« Sie prustete los und steckte mich damit an.
»Das ist alles so dumm«, japste ich. Ellie hielt sich den Bauch vor Lachen. Als wäre sie eine Comicfigur oder so. Irgendwie fand ich das süß. Der Wald wurde dunkler und das Zirpen der Zikaden heller.
© Nick Richter 2022-08-31