von Christian Bär
Vor fünf Jahren kam unser Filius zur Welt und fast alles war perfekt. Natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein, denn wir hatten auch Kummer durch erkrankte Familienmitglieder, aber es war in einem Maße wie man es von einem mit Leben gefüllten Rucksack an Last erwarten kann. Beruflich war ich wie immer am Rotieren, ich mochte es stressig. Das Zuhause war renoviert, das Kinderzimmer bereit zum Einzug für den Mietnomaden.
Wir waren bis zu diesem Zeitpunkt gut im Treiben. Viel am Arbeiten, oft im Krankenhaus bei unseren Vätern, Schwangerschaft und Hochzeit. Von meiner Erkrankung hatten wir bis dahin nichts geahnt. Es mag auch daran gelegen haben, dass keine Zeit war, um die Anzeichen dafür zu sehen, dass da was im Argen ist. Natürlich war ich oft erschöpft und hatte nicht mehr so viel Power, aber wen sollte das wundern bei dem Pensum.
Im September 2015 kam Hannes zur Welt und beim Verlassen des Krankenhauses trug ich ihn mit seiner Babyschale zum Auto, und da war es das erste Mal: dieses ungute Gefühl von Kraftlosigkeit im rechten Bizeps. Im November fiel mir beim Squash auf, dass ich wenig Bums im Schlag hatte. Es beunruhigte mich nicht, da ich ewig nichts mehr in Sachen Sport gemacht hatte. Aber dann fing der rechte Bizeps an zu zucken und hat bis heute nicht damit aufgehört, die Sau. Stattdessen hat er seine Nachbarn motiviert, es ihm doch gleich zu tun, und so zuckt nun so ziemlich alles.
Um Ostern 2016 fing es damit an, dass die Agilität meiner rechten Hand nachließ und mein rechter Fuß des Öfteren hängen blieb. Auch hatte ich manchmal einen Rechtsdrall, reagierte empfindlich auf laute Geräusche, war schreckhaft und ängstlich. Die Damen meiner näheren Umgebung nötigten mich zur Neurologin. Diese war besorgt, und eine Stunde später lag ich im Krankenhaus mit Verdacht auf Hirnschlag. Ich äußerte damals schon die Vermutung ALS.
Eine Woche lang wurde ich komplett auf den Kopf gestellt und bekam die Diagnose „Benigne Faszikulationen“. Eine Diagnose ohne Krankheitswert. Gutartige Zuckungen. Allerdings muss den behandelnden Ärzten schon klar gewesen sein, dass hier dunkle Wolken aufziehen. Noch war der Umbau in meinen Muskeln nicht messbar. Ich sah zu diesem Zeitpunkt aber das Unheil nahen und ahnte, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Messungen anschlagen. Dennoch war ich erstmal erleichtert und klammerte mich an die Hoffnung, dass ich vielleicht unrecht habe. Soll es doch zucken. Was zuckt, das lebt.
Es gingen ein paar Monate ins Land und meine Probleme nahmen zu. Also wieder eine Woche ins Krankenhaus. Die Neurologie des Universitätsklinikums ist mir nicht in romantischer Erinnerung geblieben. Ein alter Schuppen mit wenig Charme. Für mich ein Ort von Kummer. Dazu die besorgten Blicke der Ärzte, die wie trübe Wolken ein Unwetter ankündigen. Und das war leider absolut begründet, denn unser Himmel stürzte am 24. August 2016 bei bestem Wetter über uns ein, als wir die Diagnose „Verdacht auf ALS“ erhielten.
#als #madebyeyes
© Christian Bär 2020-09-30