Durchatmen!

Philipp Maderthaner

von Philipp Maderthaner

Story

Die Erleuchtung mit dem eigenen Sinn des Lebens, der Richtung, dem Weg, der Leidenschaft, dem „Warum“ – sie scheint fast so etwas wie die neue Jungfräulichkeit. Für die einen ist es unangenehm drüber zu sprechen und die anderen können es kaum zurück halten. Hast du schon? Oder hast du noch nicht? Neidisch, natürlich nicht so dass es auffällt, blicken wir auf jene, die durch diese Tür schon gegangen sind. Sie sind uns voraus und wirken dabei irgendwie so … verändert. Erleuchtet eben. Und mit jedem Menschen mehr, der im eigenen Umfeld zur sinnerfüllten Lichtgestalt wird, steigt der Druck. Wäre es bei mir nicht langsam Zeit? Müsste ich nicht längst zum Club der Erleuchteten gehören, derer, die erfüllt ihrer Leidenschaft folgen? Wissen wo’s für mich hingeht? Was mein Ding ist? Meine Mission im Leben? Gibt es hier eigentlich auch ein statistisch vorgesehenes Alter, ab dem man „auf Spur“ sein müsste? Mit 20? Oder 30? Vielleicht mit 40? Mit 50 doch auf jeden Fall oder? Mit 60, kann nicht sein, oder etwa doch?

Unlängst hatte ich nach einer meiner Keynotes ein Gespräch mit einem jungen – und noch jünger aussehenden – Mann, der mich fragte, ob es für ihn eigentlich schon zu spät sei, wenn er noch nicht genau wisse, für welchen Pfad er sich entscheiden würde. Der junge Mann war 22. Man spürte förmlich den Druck, der auf ihm lastete. Er will Großes aus seinem Leben machen. Etwas erreichen, das Richtige tun. Dabei wäre das einzig Richtige in der Situation: Luft holen und durchatmen!

Ja, schon klar, Mark Zuckernberg hat Facebook mit 20 gegründet. Charles Flint IBM übrigens mit 61. Ferdinand Porsche sein „Ding“ mit 56. Adolf Dassler folgte mit Addidas seiner Leidenschaft mit 48. Auch Aus- und Umsteigergeschichten gibt es genug – unabhängig von Alter, beruflichem Hintergrund oder ursprünglicher Ausbildung: Von der Bankangestellten in die Human-Energetik. Vom Vertriebsmanager zum Yogi. Vom Werber zum Kaffeeröster. Oder vom IT-Experten zum Slow-Food-Gastronomen. Geschichten, die das Leben schreibt. Allein, du musst die Titelseite deines Lebens nicht heute in Druck schicken und damit unveränderbar die Spur legen. Vielmehr läuft’s wie auf Wikipedia. Deine Story ist bis zum Ende deines Lebens „work in progress“. Mal kommt ein Abschnitt hinzu. Mal eine Zeile. Und das geht oft schneller als du denkst. Der gute Bill Gates hat dazu eine wunderbare Weisheit von sich gegeben: “Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem Jahr schaffen können und sie unterschätzen, was in 10 Jahren möglich ist.“ Es gibt also keinen Druck, heute ein für alle Mal den Pflock fürs Leben einzuschlagen. In 10 Jahren könnte ich Gehirnchirurg sein. Nicht dass ich es anstreben würde. Aber dass es möglich wäre, entspannt mich ungemein.

© Philipp Maderthaner 2019-08-25

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