von Lotte Maria Kaml
Heute früh checkte ich meine Mails. Ich benötige weder eine Versicherung für meine Model-Beine noch ein Log-in für die Vermittlung eines Toy-Boys. Löschen… Auf den zu erwartenden Reichtum bei Investition in eine Krypto-Währung verzichte ich. Meine Gedanken schweifen ab. In meiner Kindheit, als ich etwa zwölf Jahre alt war gab es so etwas Ähnliches auch schon. Nicht in der heutigen Form natürlich, der Begriff „Internet“ war noch gar nicht existent. Aber auch damals waren wir Teenies recht gut vernetzt. Auch wenn das erste „Viertel-Telefon“ in unserem Haushalt eine mittlere Sensation war und der Schwarz-Weiß-Fernseher von uns nur am Nachmittag eingeschaltet werden durfte. „Daktari“ war in Ordnung, aber bei „Wenn der Vater mit dem Sohne“ um 20:15 hatte meine Mutter schon leichte Bedenken. Wir waren ja schließlich noch Kinder!
Als wir unsere ersten Fremdenzimmer vermieteten, kam eine Familie mit ihrer Tochter die etwa in meinem Alter war, zu uns auf Sommerfrische. Jutta war eine echte Städterin, sie trug einen modischen Kurzhaarschnitt und meine Schwester und ich kamen uns mit den langen Zöpfen ein bisschen altmodisch vor. Sie hatte ein fröhliches Naturell, jeden Tag fiel ihr ein anderer Blödsinn ein.
Ihre Eltern waren aufgeschlossene Menschen. Selbstverständlich kauften sie ihr regelmäßig die „Bravo“. Sie schenkte uns eine Ausgabe. Nachdem meine Eltern sie durchgeblättert hatten, war sie auf einmal etwas dünner. Der mit Spannung erwartete Artikel von „Dr. Sommer“ fehlte!
Eines Tages verriet uns Jutta ein Geheimnis. Sie beherrsche eine Geheimsprache, die sogenannte „B-Sprache“. Wir lernten mit Feuereifer diese Fremdsprache, kein Problem, in Englisch waren wir ja auch schon ganz gut drauf. „Tabantebe Libisiba“ war das Erste, was sie uns beibrachte. Wir waren völlig davon überzeugt, dass uns kein Mensch verstehen könnte und besprachen ganz ungeniert unsere Teenager-Geheimnisse vor den Eltern. Bis eines Tages meine Mutter fragte: „Und wer ist eigentlich diese Tante Lisa?“
Da mussten wir dann umsatteln. Auf Morsezeichen. Sozusagen. Eine lange Schnur, an dessen Ende wir einen kleinen Stein banden, war die Zentrale unserer geheimen Kommunikation. Jutta saß am Balkon, wir herunten auf der Hausbank. Voll konzentriert, ausgerüstet mit Stift und Schreibblock zählten wir die Schläge, mit denen der Stein an die Mauer schlug. Wir checkten das Ganze natürlich blitzartig.
Allerdings schlug gleich darauf ein anderer „Blitz“ ein: Jutta hatte wohl ein bisschen zu viel Schwung an diesem Tag, die Küchen-Fensterscheibe zersprang mit einem lautem „Bling“. Ein Bling, an das ich mich heute erinnerte: beim Ton meiner E-Mail Benachrichtigungen. Abgesehen vom darauffolgenden Donnerwetter wünschte ich mir bei dieser Erinnerung etwas zurück: ein E-Mail „old fashioned“. Eines, worüber man sich einfach freut. Mit einem Anhang namens „Unbeschwertheit“ im Gepäck. Aber vielleicht krieg´ ich ja mal eins.
© Lotte Maria Kaml 2020-05-30