Edelsteine des Alltags

LillyRuth

von LillyRuth

Story

Irgendwann in den letzten Monaten traf ich eine Entscheidung. Es war wohl die beste seit Langem. Vielleicht sogar die beste meines Lebens. Ich beschloss, täglich Glücksmomente zu sammeln. Wobei das Wort Glück in diesem Zusammenhang nicht überbewertet werden soll. Eher trifft Zufriedenheit, Freude oder innere Ruhe den Kern dessen, was ich meine. Ich sammle diese Augenblicke nun so wie andere Menschen Rabattmarken oder ähnliche Dinge horten. Ein warmes Gefühl sucht mich heim, wenn ich einen dieser Momente erlebt und in meinem Inneren aufbewahrt habe.

Das Schöne daran: Hat man einmal seine Sinne auf diese Art der Schatzsuche geschult, findet man die Kostbarkeiten scheinbar überall. In einem Lächeln eines Unbekannten beim Einkauf. Dem zufriedenen Kauen der Kinder, wenn ihnen das Essen schmeckt. In der vertrauten Stimme des betagten Vaters am Telefon und dem Wissen, dass er wohlauf und gesund ist. Im Anblick der blühenden Sträucher im Garten. Neuerdings sitzt eine Taube auf einem benachbarten Kirschbaum. Sie sucht sich immer den gleichen Ast aus und gurrt zufrieden in Richtung unseres Hauses. Ich habe das Tier Helmut getauft. Keine Ahnung, warum. Aber irgendwie schien mir der Name passend für diese Taube, die dann eigentlich als Täuberich zu bezeichnen wäre. Seither gehört der gurrende, hellgraue Helmut quasi zum erweiterten Kreis unserer Haustiere und ich freue mich jedes Mal, wenn ich zu ihm hinüberschaue.

Seit einiger Zeit wird mir täglich um die Mittagszeit ein weiterer, besonders schöner Glücksmoment zuteil. Er ist quasi mein Favorit unter den anderen kleinen Edelsteinen des Alltags. Mein Jüngster geht nun immer mit Schulkameraden zu Fuß zur nahen Volksschule und mittags wieder nach Hause. Um 11.50 Uhr erreicht die vergnügte Gehgruppe meine Hörweite. Sehen kann ich die Kinder zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber ihr Tratschen und Lachen zu vernehmen, ist das größte Vergnügen. Dank Homeoffice entgeht mir neuerdings keiner dieser Augenblicke mehr, für den ich extra das Küchenfenster öffne. Wenn nun die Hörweite in Sichtweite übergeht, ergibt sich ein kurzer magischer Moment. Der erwartungsvolle Blick meines Sohnes und meiner treffen aufeinander. Neugierig schaut mein Kleiner zum Küchenfenster und hofft, dass ich dort stehe und ihm zuwinke. Ein paar Sekunden dauert diese Szene und doch ist sie unfassbar schön. Die Zeit scheint still zu stehen. Irgendwann wird er ein junger Mann sein und das Haus verlassen, um anderswo seine Wege zu gehen. Und es wird gut so sein, denn das ist der Lauf des Lebens. Doch die vielen Edelsteine unseres gemeinsamen Lebens wird mir nie jemand nehmen können. „Hallo Mama! Was gibt’s zu essen?” Ich hab schon solchen Hunger!“, ruft er mir entgegen und legt zur Untermauerung dieser Aussage demonstrativ seine kleine Hand auf seinen Bauch.

Es braucht nicht viel zum Glücklichsein. Eigentlich nur die richtige Brille, um all das zu sehen, was ohnehin schon da ist.

© LillyRuth 2021-06-08