Ehre sei Gott in der Tiefe

Theodor Leonhard

von Theodor Leonhard

Story

Streit war ausgebrochen unter den Engeln. Die besten Sänger hatte ihr Boss zu einem Chor zusammen gestellt. Mit feierlicher, fast etwas erregter Stimme hatte er sie damit beauftragt, bei der Geburt seines Sohnes auf der Erde zu singen. Das war allerdings schon Herausforderung genug für den Engelschor.

Auf dem Weg zur Erde gab es nun eine heftige Auseinandersetzung. Zwei kleine Engelchen auf der untersten Stufe der Engelshierarchie waren aufmüpfig. Ihre Behauptung: Der Boss habe ihnen aufgetragen, sie sollten bei ihrem Auftritt nicht mehr den gewohnten Text von der Ehre Gottes in der Höhe singen. Sein umgedichteter Songtext laute: “Ehre sei Gott in der Tiefe!”

Wenn sie ehrlich waren, mussten die anderen Engel mitsamt ihrem Erzengel-Dirigenten ja zugeben: Sie hatten es auch gehört. Aber was nicht sein darf, das auch nicht sein kann. Sicher, der Boss hatte schon seine für Engel unerhörte Launen. Besonders in der letzten Zeit zeigte er völlig überzogene Sympathien für diese Menschen da unten auf der Erde. Jetzt sollte auch noch sein Sohn dort geboren werden. Aber das war das Mindeste, dass dieses unverständliche Ereignis mit himmlischer Sphärenmusik umrahmt wurde. Da wäre es nur ein schräges Geplärr, wenn plötzlich von der Ehre Gottes in der Tiefe gesungen würde. Das ging nun wirklich über die himmlische Hutschnur des Erzengels. So weit konnte, vor allem, so weit wollte er nicht den Launen seines obersten Chefs folgen.

Außerdem waren es ja nur die zwei Engelchen von ganz unten, die so stur auf dem neuen Text beharrten. Die wollten sich doch bloß in den Augen vom Boss wichtig machen. Man kannte ja diese Unruhestifter. Mit einem scharfen, drohenden “Basta!” beendete der Erzengel den Streit. Die beiden Aufsässigen ermahnte er, sie sollten sich an das Gewohnte halten. Ansonsten sei ihre himmlische Karriere beendet, bevor sie richtig begonnen habe,

Von Weitem sahen sie die hell erleuchtete Stadt Jerusalem. Aber ihr Wegweiser-Stern führte sie an der Stadt vorbei. Bis zu einem Hirtenfeld nahe bei dem fast unbekannten Provinznest Betlehem. So richtige Stimmung wollte bei der Menge der himmlischen Heerscharen in dieser Umgebung wirklich nicht aufkommen. Vor ein paar erschrockenen Hirten waren sie mit ihrem im ganzen Universum berühmten Chor noch nie aufgetreten. Das war doch unter ihrer Würde. So etwas!

Nur zwei kleine Engelchen fielen den Hirten besonders auf, das eine mit krummen Beinen, das andere mit abstehenden Flügeln. Sie sangen sehr fröhlich und strahlten tanzend um die Wette.

Als der mit den krummen Beinen ganz nah an einem Hirten vorbei flitzte, flüsterte er ihm leise ins Ohr, sodass der Erzengel es nicht hören konnte: “Ehre sei Gott in der Tiefe!” Dem Hirten wurde ganz warm ums Herz und ein fröhliches Strahlen legte sich auf sein Gesicht. Später erzählte er von diesem neuen Text seinen Freunden. Die wurden auch froh. Und so hat sich das neue Lied des himmlischen Chefs bald herumgesprochen. EHRE SEI GOTT IN DER TIEFE!

© Theodor Leonhard 2021-12-24

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