Eierdiebinnen, böse Mädchen

Elisabeth-Christine Kayser

von Elisabeth-Christine Kayser

Story
DDR

Unser Stiefvater verbot uns, dass wir andere Kinder zum Spielen zu uns ließen. Er war der Meinung, ihr habt doch sowieso bloß Blödsinn im Nischel! Von seiner Seite aus gesehen, hatte er wirklich recht. Wir waren oft übermütig und waghalsig, es ging viel zu Bruch oder wir verletzten uns. Somit gab er uns Aufgaben, die wir zu erledigen hatten. Arbeit im Haus, im Garten und in den Ställen gab es immer, wenn wir von der Schule kamen. Spielen wurde uns erlaubt. Erst waren die Pflichten zu erfüllen und wehe! Mutter war in Vollzeit arbeiten. Ich litt damals schon zeitweise unter seltsamen Zuständen, die sich in Unwohlsein, Lustlosigkeit und negativen Gedanken bemerkbar machten. Eines Tages klopfte es bei uns am Tor. Ein Mädchen stand davor und brachte Futter für unsere Kaninchen und die Hühner. Unsere Schafe weideten hinten im Garten auf einer Wiese. Das Mädchen aus dem Nachbarhaus kam regelmäßig, sie durfte zu uns herein. Wir schlossen bald Freundschaft, stachen uns in die Finger und besiegelten diese mit unserem Blut, mischten und lutschten es auf. Wenn sie kam, bekam ich Auftrieb. Im Nu war aufgeräumt, wir machten gemeinsam die Betten und misteten die Ställe aus.

Anschließend spielten wir Ball, vollführten gymnastische Verrenkungen und was uns sonst einfiel. Dafür, dass sie regelmäßig Futter brachte, gab Mutter frische Eier von unseren Hühnern mit. Wenn wir jeweils für unsere Mütter einkaufen gingen, durften wir uns etwas Süßes kaufen. Mal war es Eis am Stiel, Gummischlangen und Gummitiere zum Naschen. Hatten wir nichts Süßes und es gelüstete uns danach, schafften wir Flaschen und Gläser zum Altstoffhandel. Es langte oft noch für Schulhefte. Bis wir eines Tages zu kleinen Diebinnen wurden, was wir jedoch so nicht sahen. Bekannte von ihr wollten Eier kaufen. Wenn unsere Hühner gackerten, wussten wir, dass sie gelegt hatten. Flugs wurden die Eier in eine Schüssel gepackt und weggetragen. Sie waren noch warm. Von nun an sah man mich und meine Freundin während der Schulhofpause öfter schnell über die Straße in den kleinen Tante-Emma-Laden huschen. Zwei glückliche Grazien mit ihren Papiertütchen voller Süßigkeiten lächelten. Bei all dem dachten wir nicht an unsere Geschwister, die waren ja nicht dabei! Erst später machte sich das schlechte Gewissen bemerkbar. Eines Tages meinte Mutter: »Ich verstehe nicht, die Hühner legen so wenig Eier, die Mauser haben sie nicht, zu kalt ist es nicht?« Betretenes Schweigen meinerseits. Sollte ich es zugeben? »Nein!«, sagte mir mein Bauchgefühl. Wenn ich etwas verschweige, dann ist es noch lange nicht gelogen! Wie oft hatte sie mir schon gesagt, »wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!« Sie zu erzürnen, das lag mir fern. Sie hatte genug Sorgen. Meiner Freundin gab ich zu verstehen, dass wir keine Eier mehr stehlen und verkaufen dürfen. Die Hühner verraten uns nicht, aber wenn unsere Geschwister das mitbekommen oder Kommissar Zufall …


 




© Elisabeth-Christine Kayser 2022-07-09

Genres
Romane & Erzählungen, Anthologien
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Komisch, Informativ, Unbeschwert
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