von Hermann Karosser
Ist es normal, mit 70 noch nervös einer Essenseinladung entgegenzusehen, im Internet zu recherchieren, was im Umgang mit dem GegenĂŒber zu beachten und auf alle FĂ€lle zu vermeiden ist? Nein, ist es nicht. Und doch begann es schon zu Hause, als Renate das Geschenk zusammenstellte: Einen kleinen selbst gehĂ€kelten Korb, gefĂŒllt mit SĂŒĂigkeiten. In der Confiserie hatte sie Schokolade erstanden. âFeinste Pralinenmischung mit SahnetrĂŒffel, Nougat, Marzipanâ ⊠las sie erst beim Einpacken auf dem Etikett ⊠âund LIKĂR!â Oh Gott, worauf hatte Simon doch eindringlich hingewiesen: âKein Alkohol als Mitbringsel!â Also raus mit den Köstlichkeiten und rein mit goldverpackter Massenware aus dem Supermarkt.
âWeiĂbier zum Essen? Wir haben helles, dunkles und, wennâs sein muss sogar alkoholfreies. Aber einen schönen RosĂ© könnte ich auch anbieten.â Ich âorderteâ als einziger das Alkoholfreie – musste ja noch Auto fahren – und lauschte gespannt der ErzĂ€hlung des kĂŒnftigen Schwiegervaters meines Sohnes, wie er in den 1960er Jahren in MĂŒnchen angekommen war und sein Vater ihn nicht gleich in die Wohnung gebracht hatte, ⊠sondern erst auf den Nockherberg, ⊠zum Biertrinken.
GĂŒnden hatte uns vorgewarnt, fast âgedrohtâ: âDa mĂŒsst ihr tĂŒrkisch essen.â Es gab FleischbĂ€llchen mit GemĂŒse und Reis, gefĂŒllte Auberginen und Paprikaschoten, Augenbohnensalat, GebĂ€ck mit Lauch gefĂŒllt und vieles mehr. Schön anzuschauen und so köstlich, dass ich alles zumindest probiert habe. – Die Zeit verging âwie im Flugâ, weil es so viele Geschichten zu erzĂ€hlen gab. – âWisst ihr eigentlich, wie Auberginen auf Deutsch heiĂen?â, fragte der Gastgeber die Runde. Die Antwort: Betretenes Schweigen. âKurz nachdem ich nach Deutschland gekommen war, ging ich öfter an einem Obst- und GemĂŒsestand mit ânicht mehr so ganz frischenâ Auberginen vorbei. Ich wollte das dem Inhaber sagen, wusste aber nicht, was Aubergine auf Deutsch heiĂt. Zu Hause schaute ich nach und am nĂ€chsten Tag sprach ich den Mann an: âIhre Eierfrucht sieht aber nicht mehr sehr frisch ausâ. VerstĂ€ndnislos schaute er mich an. Ich zeigte auf die Frucht. âAch die Aubergine meinen Sie. Ja, fĂŒr die gibtâs halt bei uns wenig Interessentenâ. – Verschmitzt gab er auch zu, seine Herkunft und Religion manchmal sogar als âMittel zum Zweckâ zu verwenden. So brachte er eine lĂ€stige HaustĂŒr-Werberin vom Roten Kreuz stark in Verlegenheit mit den Worten: âSie haben doch meinen Namen gelesen. Der ist tĂŒrkisch. Und tĂŒrkisch ist muslimisch. Und deshalb habe ich mit dem âKreuzâ gar nichts âam Hutâ. â Die Gastgeberin gab als Beispiel dafĂŒr, wie sehr sie in Bayern verwurzelt ist, die Geschichte eines Einkaufs in Leipzig zum Besten, wo sie den Laden in ihrer Gewohnheit mit einem herzlichen âGrĂŒĂ Gottâ betrat, dafĂŒr in der sĂ€chsischen Metropole aber nur UnverstĂ€ndnis erntete.
Als Dessert wurde âMilchreis ohne Reisâ serviert, den die kĂŒnftige Schwiegertochter wohl so abwertend benannte, weil sie selbst kein Fan davon ist. Renate und mir mundete der Nachtisch dagegen vorzĂŒglich, wie das ganze ĂŒppige Mahl auch und wir verabschiedeten uns, glĂŒcklich, so viele neue Erkenntnisse gewonnen und so sympathische Menschen kennengelernt zu haben.
© Hermann Karosser 2024-01-31