Eierfrucht

Hermann Karosser

von Hermann Karosser

Story
MĂŒnchen 2024

Ist es normal, mit 70 noch nervös einer Essenseinladung entgegenzusehen, im Internet zu recherchieren, was im Umgang mit dem GegenĂŒber zu beachten und auf alle FĂ€lle zu vermeiden ist? Nein, ist es nicht. Und doch begann es schon zu Hause, als Renate das Geschenk zusammenstellte: Einen kleinen selbst gehĂ€kelten Korb, gefĂŒllt mit SĂŒĂŸigkeiten. In der Confiserie hatte sie Schokolade erstanden. ‚Feinste Pralinenmischung mit SahnetrĂŒffel, Nougat, Marzipan‘ 
 las sie erst beim Einpacken auf dem Etikett 
 ‚und LIKÖR!‘ Oh Gott, worauf hatte Simon doch eindringlich hingewiesen: „Kein Alkohol als Mitbringsel!“ Also raus mit den Köstlichkeiten und rein mit goldverpackter Massenware aus dem Supermarkt.

„Weißbier zum Essen? Wir haben helles, dunkles und, wenn’s sein muss sogar alkoholfreies. Aber einen schönen RosĂ© könnte ich auch anbieten.“ Ich ‚orderte‘ als einziger das Alkoholfreie – musste ja noch Auto fahren – und lauschte gespannt der ErzĂ€hlung des kĂŒnftigen Schwiegervaters meines Sohnes, wie er in den 1960er Jahren in MĂŒnchen angekommen war und sein Vater ihn nicht gleich in die Wohnung gebracht hatte, 
 sondern erst auf den Nockherberg, 
 zum Biertrinken.

GĂŒnden hatte uns vorgewarnt, fast ‚gedroht‘: „Da mĂŒsst ihr tĂŒrkisch essen.“ Es gab FleischbĂ€llchen mit GemĂŒse und Reis, gefĂŒllte Auberginen und Paprikaschoten, Augenbohnensalat, GebĂ€ck mit Lauch gefĂŒllt und vieles mehr. Schön anzuschauen und so köstlich, dass ich alles zumindest probiert habe. – Die Zeit verging ‚wie im Flug‘, weil es so viele Geschichten zu erzĂ€hlen gab. – „Wisst ihr eigentlich, wie Auberginen auf Deutsch heißen?“, fragte der Gastgeber die Runde. Die Antwort: Betretenes Schweigen. „Kurz nachdem ich nach Deutschland gekommen war, ging ich öfter an einem Obst- und GemĂŒsestand mit ‚nicht mehr so ganz frischen‘ Auberginen vorbei. Ich wollte das dem Inhaber sagen, wusste aber nicht, was Aubergine auf Deutsch heißt. Zu Hause schaute ich nach und am nĂ€chsten Tag sprach ich den Mann an: „Ihre Eierfrucht sieht aber nicht mehr sehr frisch aus“. VerstĂ€ndnislos schaute er mich an. Ich zeigte auf die Frucht. „Ach die Aubergine meinen Sie. Ja, fĂŒr die gibt’s halt bei uns wenig Interessenten“. – Verschmitzt gab er auch zu, seine Herkunft und Religion manchmal sogar als ‚Mittel zum Zweck‘ zu verwenden. So brachte er eine lĂ€stige HaustĂŒr-Werberin vom Roten Kreuz stark in Verlegenheit mit den Worten: „Sie haben doch meinen Namen gelesen. Der ist tĂŒrkisch. Und tĂŒrkisch ist muslimisch. Und deshalb habe ich mit dem ‚Kreuz‘ gar nichts ‚am Hut‘. – Die Gastgeberin gab als Beispiel dafĂŒr, wie sehr sie in Bayern verwurzelt ist, die Geschichte eines Einkaufs in Leipzig zum Besten, wo sie den Laden in ihrer Gewohnheit mit einem herzlichen „GrĂŒĂŸ Gott“ betrat, dafĂŒr in der sĂ€chsischen Metropole aber nur UnverstĂ€ndnis erntete.

Als Dessert wurde ‚Milchreis ohne Reis‘ serviert, den die kĂŒnftige Schwiegertochter wohl so abwertend benannte, weil sie selbst kein Fan davon ist. Renate und mir mundete der Nachtisch dagegen vorzĂŒglich, wie das ganze ĂŒppige Mahl auch und wir verabschiedeten uns, glĂŒcklich, so viele neue Erkenntnisse gewonnen und so sympathische Menschen kennengelernt zu haben.

© Hermann Karosser 2024-01-31

Genres
Essen & Trinken, Lebenshilfe
Stimmung
Emotional, Informativ, Unbeschwert
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