von SusanMary
Er hatte schon ganz besondere Besonderheiten. Eigenartige Eigenarten. Er nervte. Bewusst. Provokant. Aber nicht mich. Ich bewunderte seine eigenartigen Besonderheiten. Seinen Mut. Seinen Mut zum Anders-sein. Nicht angepasst. Unabhängig? Frei?
Es liegt schon viele Jahre zurück, als er mir erlaubte, über ihn zu schreiben. Ich dürfte das, meinte er damals. Es gefiele ihm sogar. Er animierte mich dazu, einiges davon ebenfalls zu versuchen. Den Mut dazu aufzubringen. Mal anders zu sein… Seine Vorliebe galt giftgelben Socken und weißen Schuhen. Schon diese Kombination lässt so manchen die Schultern hochheben und die Augen verdrehen. Er setzte dem noch eines drauf. Kaufte sich gelbe Schuhe. Die weißen Socken hatte er in der Lade. Um die etwas andere Farbkombination noch zu verschärfen, kleidete er nun auch noch den linken Fuß in anderer Farbe als den rechten. Blicke zog er damit auf sich. Beabsichtigt. Der Graben in der Wiener Innenstadt war sein Catwalk. Zwei Mal. Nicht öfter. Man sollte sich sein Gesicht nicht merken. Warum waren solche Dinge für ihn wichtig? Ich fragte nicht. War zu verwirrt, zu beeindruckt. Auffallen und anonym bleiben. Das funktionierte! Er hatte recht! Ins Gesicht sah ihm keiner…eigenartig. Er wollte kein Wiener Stadtoriginal wie Waluliso werden. Seine Lebensphilosophie blieb Seine. Darüber sprach er nur mit Wenigen. Dabei verlor er jedes Bedürfnis nach Provokation. Dann wurde er leise und sensibel. Besonders. Besonders sensibel.
In jungen Jahren war er ein Frauenheld. Äußerst attraktiv. Nie verheiratet, keine Kinder. Ab 40 ließ er sich nur auf gebundene Frauen ein. Alles andere war ihm zu kompliziert, verstand er nicht, war zu verbindlich. Zu eigenartig. Urlaube in der Türkei waren besonders eigenartig. Stunden verbrachte er mit alten Einheimischen um Tavli zu spielen. Täglich. Ins Meer ging er am letzten Tag. Um sich zu verabschieden. Er verabschiedete sich ohne jemals begrüßt zu haben. Auf besondere Art, ganz eigenartig.
Er war ein talentierter Tennisspieler. Keiner wusste wie und wo er es erlernt hatte. Jedes noch so attraktive Angebot von Vereinen lehnte er ab. Wie alles, das nach Verpflichtung und Bindung roch. Eigenartig.
Heute ist er weit über 70 – und alleine. Gewollt. Gewollt? Er besitzt kein Handy, keinen Computer. Sagt er. Besonders, anders! Besonders anders? Zufällig sind die wenigen Treffen, wenn er es nicht mehr rechtzeitig auf die andere Straßenseite schafft. Nicht geplant, nicht organisiert. Dabei ist er besonders wortkarg. Er ist sich selbst der beste Freund. Für nichts und niemanden mehr erreichbar… Meine Bewunderung wurde zu Bedauern. Doch ich frage mich, ob mir das zusteht. Seine Welt ist mit Sicherheit eine Besondere.
Das Wissen, dass H. ohne Vater, unter einer dominanten Mutter groß geworden ist, lässt vieles Besondere besonders bleiben und erklärt Eigenartiges.
Eine besondere Autorin hier auf story.one schrieb einmal, dass wir alle etwas eigenartig wären.
© SusanMary 2020-07-23