von Christa Putnik
Wieder ist es eine Firma, die unsere Isländer als „Spiegel“ nutzen. Eine österreichische Firma mit langer Tradition. Die Mitarbeiter sind seit vielen Jahren, teils sogar Jahrzehnte im Betrieb und ein eingespieltes Team. Der Geschäftsführer ist erst seit einigen Monaten dabei.
Er hat hervorragende Führungsqualitäten. Alle Pferde folgen ihm willig, auch wenn er flott durch das Viereck läuft – solange es geradeaus geht. Am ersten Vormittag fällt mir genau das auf. Aber ich beobachte auch erstaunt, dass seine Richtungswechsel abrupt erfolgen. Unsere Isländer folgen ihm auch dort, doch nur, weil er sie vorläufig noch am Strick führt.
In einem Vieraugengespräch nach dem Mittagessen erzählt er mir den Grund: In der Firma, in der er vorher angestellt war, agierte er als „Freund“ der Mitarbeiter. Es ging schief. Er hat sich geschworen, dass er das nie mehr wieder so machen wird. Wie die Pferde am Vormittag überfuhr er seine „Unter“gebenen nun mit seinen Entscheidungen. Da sie jedoch nicht am Strick liefen, folgten ihm nicht alle oder zumindest nicht so schnell, wie er es erwartete.
Er versteht sehr schnell, dass die Mitarbeiter bemerken, dass er eine Rolle spielt. Mit Hilfe der Pferde lernt er den goldenen Mittelweg zu finden. Auch ohne Strick folgen sie ihm nun willig. Ich erzähle der ganzen Belegschaft, dass mit dem „Boss“der Pferdeherde kein anderes Pferd kämpft. Rangordnungskämpfe gibt es nur im Mittelfeld. Ich sehe in den Gesichtern, dass alle die Metapher verstanden haben.
Bei der Schlussrunde bedankt sich der Geschäftsführer bei allen Mitarbeitern für ihre tolle Mitarbeit bei diesem interessanten Seminar. Jeder bekommt ein Buch. Die langjährigste Mitarbeiterin hat am meisten unter der strikten Art ihres neuen Chefs gelitten. Er hat es natürlich bemerkt. Und so umarmt der großgewachsene Mann herzlich diese Mitarbeiterin bei der Überreichung des Buches. Die Freude der Mitarbeiterin über diese Geste breitet sich auf alle Mitarbeiter aus, obwohl sie sich im Raum noch bemüht, ihre Emotionen nicht zu sehr zu zeigen. Im Vorraum des WC’s schluchzt sie dann: „E-e-e-r wei-wei-weiß j-j-ja gar nicht, we-wel-welche Freu-Freude er mir damit gemacht hat!“
© Christa Putnik 2020-09-07