Ein Bild und seine Geschichte

Nicola Jaeger

von Nicola Jaeger

Story

Den ganzen Sommer 2019 machte ich einen weiten Bogen um meine Unterwasserfotografien aus der Zeit nach dem Tod meines Vaters. Jedes Mal, wenn ich durch die Fotos von Lembeh, Indonesien, schaute, kamen die Gefühle aus der Zeit hoch, und ich brach den Versuch ab.

Ich versuchte mich auf verschiedene Weisen zu motivieren. Schließlich wusste ich, dass es ein paar Schätze in den unberührten Ordern gab. Doch Monat um Monat verstrich. Mit der Zeit wuchs meine Frustration. Warum hatte ich die Bilder nicht gleich aussortiert? Warum machte ich das nicht einfach jetzt? Was zum Teufel wollte ich überhaupt machen und warum? Warum, warum, warum …

In meiner Not begann ich nach Videowettbewerben für Yoeris Unterwasserclips zu suchen. Manchmal, wenn ich selbst nicht weiterkomme, ist es leichter, etwas für jemand anderen zu tun. Doch Videowettbewerbe sind oft Teil von Fotowettbewerben und obwohl all die Bilder mehrere Nummern zu groß erschienen – oder vielleicht gerade deshalb? – motivierte mich die Vorstellung, selbst etwas einzureichen, was ich geschaffen hatte, endlich durch meine Bilder zu gehen, meine besten Arbeiten herauszusuchen, um sie mit anderen Menschen zu teilen.

Es fiel mir noch immer schwer, aber mit einem Ziel vor Augen, schaffte ich es, durch den Schmerz hindurch zu gehen. Ich arbeitete mich durch meine Nacktschnecken, wohl wissend, dass dort nicht nur mein Lieblingsbild, sondern noch ein paar weitere Fotos schlummerten, bei denen sich schon im Moment der Aufnahme alles richtig angefühlt hatte. Außerdem wollte ich, über diese phantastischen Tierwesen und wo sie zu finden sind, für unsere Website schreiben. Mit der Auswahl der Bilder begann ich nicht nur zu schreiben, sondern mich auch wieder neuen Herausforderungen zu stellen.

Mein Lieblingsbild habe ich am 16. Januar 2019 aufgenommen. Knapp ein Jahr später, gerade als wir nach acht Monaten Pause wieder in Indonesien ankamen, höre ich, dass es ins Finale des besten Deutschen Unterwasserfotografen (als Teil des World Shootouts 2019) aufgenommen wurde. Es hat nicht gewonnen, doch die Nominierung spornte mich trotz allem an.

Meine Kämpfernatur hat mein Vater auf jeden Fall geschult, vielleicht hatten wir manchmal zu viel Wettbewerbsdenken. Er hat mich immer unterstützt, wollte, dass ich mich ausprobiere, in die Welt hinausziehe und versuche mein Bestes zu geben. Ich bin mir endlich wieder sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Aufgeben gilt nicht, meinen Dickkopf habe ich schließlich wirklich von ihm geerbt.

Am 3. Juni 2020, dem Tag an dem mein Vater 74 Jahre alt geworden wäre, bekam ich eine E-Mail. Der Betreff lautete nur „TAUCHEN: Leservoting” und als ich die Nachricht öffnete, offenbarte sich das größte Geschenk, das mich an diesem Tag mit meinem Vater verbinden konnte: Die Schnecke hatte die Jury überzeugt und ich damit die Monatswahl Mai gewonnen. Ich tanzte auf die Veranda, um Yoeri um den Hals zu fallen. Der Kreis schließt sich.

© Nicola Jaeger 2020-07-09

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