Ein Blick kann das Leben verändern Teil 2

Hermann Exenberger

von Hermann Exenberger

Story

Der Dank ist etwas Geheimnisvolles… Ich bin immer der Beschenkte.

„Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein.“(Mt 6,22) Es hängt also vom Blick ab. Auf ihn kommt es an, er schafft Wirklichkeit. Und dann ist von Sorge die Rede, und ich kann die Welt eben auf unterschiedliche Weise wahrnehmen. So wird mir sehr rasch klar, mit den Augen der Angst und Sorge betrachtet ist die Welt eine andere, als mit den Augen des Vertrauens betrachtet.

„Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie…und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Felde wachsen. Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war… ”. (Mt 6,26)

Hier wird mir ein Blick vermittelt, der das Gewohnte neu und anders wahrnimmt. Vögel und Lilien sind Bilder für etwas, das vor meinen Augen abläuft. Sie sind auf Zukunft ausgerichtet, oder anders gesagt, auf Leben und Weiterleben. Doch die Aussicht auf ein Ende nimmt sie nicht in Bann. Sie leben o h n e Angst. Sie führen mir etwas vor Augen, sozusagen eine Lektion, das zu vergessen ich oft (allzu oft) in Gefahr bin. Ich kann mir nicht selber das Leben geben. Es ist ein Geschenk, dem ich mich anvertrauen kann. Vogel und Lilie führen mir aber auch vor Augen, wie sich alles einem großen Geschenk verdankt, wie Dinge rund um mich selbst geschehen, mühelos geschehen. Es ist nicht mein Verdienst. Wenn ich mich auf diesen Lernprozess einlasse und mit dem „Das Auge gibt dem Körper Licht“ sehe, kann ich das entdecken. Ihr Dasein macht mir dann deutlich, was es mit dem Leben als GESCHENK auf sich hat, wie sehr alles ein Geschenk ist und wie reich ich selber beschenkt bin. Wenn ich das sehe, ist mein Auge gesund. Dann könnte es mir auch leichter gelingen, anders zu leben.

Ich kann mich nicht selber aus der Angst um mich befreien. Ich bin auf andere angewiesen. Das können Menschen sein, die mir begegnen und mich aus meinem eigenen engen Denken, aus meiner Versponnenheit in eigene Sorgen und Nöte, herauslocken. Das kann die Literatur mit all ihren alten Texten sein, oder ein kleiner neuer, der noch nicht Eingang in die Weltliteratur gefunden hat. Als Geschenk öffnen sie mir die Augen dafür, dass ich der Beschenkte bin. Sie machen mir keine guten Vorschläge, sie richten keine Appelle an mich, sie belehren mich nicht und wollen mich auch nicht von etwas überzeugen. Sie führen mir nur etwas vor.

Sie bemühen sich um mich, indem sie die Enge meines Blicks, die Befangenheit meiner Sichtweise einfach weiten. Sie schenken mir mit einem Wort neue Augen (Betrachtungsweisen). Mit ihnen entdecke ich, dass ich Tag für Tag der Beschenkte bin.

© Hermann Exenberger 2022-11-13