Ein Brief

Lieber Manni

Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Stell dir vor, letztens habe ich mein Handy ins Meer geworfen. Einfach so. Wie diese Carrie aus Sex in the City als Big sie vorm Altar stehen gelassen hat (Ich hoffe, du hast den Film jetzt endlich gesehen, es ist wirklich ein Klassiker!! Und du bist selbst schuld, wenn du meine Anspielungen nie verstehst). Es war jedenfalls ein befreiendes Gefühl, es einfach so wegzuschleudern. Fortzuwerfen mit aller Kraft. Wann wirft man schon etwas mit aller Kraft? Vermutlich als Kind das letzte Mal.

Ich genieße meine Tage hier an der Küste, die Kur tut mir gut. Es ist lieb, dass du dich um mich sorgst, aber das musst du nicht. Mir geht es bestens. Ich füttere in letzter Zeit zum Beispiel oft die Möwen. Es stimmt übrigens nicht, dass ich sie hasse, weiß nicht, woher du das schon wieder nimmst. Ich habe nur einmal geschrieben, dass ihr Geschrei mich immer weckt, aber da wusste ich ja auch noch nicht, dass sie mir einfach nur dringend die Geschichten vom Meer erzählen wollen. Mittlerweile spreche ich aber Möwisch. Manchmal ärgern sie sich über die Leute am Strand, die an der Promenade Drachen steigen lassen. Aber ich habe ihnen gesagt, dass diese Windwesen nur halb so authentisch sind wie sie und das hat sie etwas milde gestimmt, denke ich. Zumindest machen sie jetzt auch nur noch halb so oft auf meinen Balkon. Letztens hat ein Junge einen Drachen in Form von einem Fisch steigen lassen. Ein fliegender Fisch, stell dir das vor. Er ist mit den Möwen gesegelt. Und er hat Silber in der Sonne geglänzt. Wie ein Lachs. Da musste ich an dich denken. Ich hoffe, es geht dir gut. Dass du dein Leben lebst, aber richtig. Ich weiß, das klingt sentimental, aber ich bin halt alt, ich darf das. Leg dir eine Liste an mit allem was du im Leben tun willst, mach das wirklich! Und dann tu die Dinge, die auf der Liste stehen. So etwas ist wichtig. Stell dir vor, du tust es nicht! Und dann müssen die Möwen dem lauschen. Einem verpassten Leben. Und die wiederum erzählen es dann dem fliegenden Fisch. Der will so etwas gar nicht erst hören. Und ich auch nicht. Also tu mir den gefallen, versprich mir, dass du diese Liste schreibst, ja?

Und vergiss nicht zu fliegen.

Ich freue mich auf deine Karte. Vielmehr freue ich mich aber, dich endlich wieder zu sehen.

Bestimmt bald,

Oma