Ein Brief

Fabian Ganauser

von Fabian Ganauser

Story

Wie geht’s dir? Was macht das Leben? Was tut sich so in Australien?

Ein Jahr lang habe ich tapfer durchgehalten und es geschafft, dir nicht zu schreiben. Frag nicht, warum ich es ausgerechnet jetzt tue; ich weiß es nicht. Ich habe Sehnsucht nach dir, das schon, aber eigentlich nicht mehr als sonst. Wahrscheinlich bin ich einfach nur neugierig. Oder ich mache mir hoffnungslose Hoffnungen. Vielleicht beides.

Vor einem Jahr schienen mir meine Hoffnungen nicht so unbegründet zu sein. Als wir glücksberauscht durch die Lanes von Brighton gelaufen sind, weißt du noch? Ausgerechnet wir, zwei Außenseiter. Du, eine Studentin auf Auslandssemester, und ich, der schüchterne, träumende Tourist. Wir waren ein Außenseiterpaar.

Nein, entschuldige den Ausdruck. Wir waren kein Paar. Wir waren verliebt, aber wir liebten uns nicht. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Technisch betrachtet waren wir überhaupt nur ein Sommerflirt. Aber emotional waren wir so viel mehr. Glaubst du, hätte etwas aus uns werden können? Ein Paar? Eine Fernbeziehung? Die Liebe unseres Lebens? Damals habe ich das geglaubt. Heute nicht mehr. Sydney ist zwar nicht aus der Welt, aber fast. Auf jeden Fall zu weit weg von Wien, als dass das funktionieren hätte können. Aber im vergleichsweise kleinen Brighton, da hat es funktioniert, mit uns zweien. Eine Woche lang.

Diese eine Woche mit dir war so schön wie ein ganzer Sommer. Aber sie ging vorüber wie zwei Tage. Manchmal glaube ich sogar, es waren tatsächlich nur zwei Tage.

Und dann, nach zwei Tagen oder einer Woche, kam dieser Moment des Abschieds. Damals, am Flughafen London Heathrow, als du mich ein letztes Mal umarmtest, auf die Wange küsstest und meintest, du könntest nicht anders. Ich verstehe dich. Ich wäre auch nicht mit dir nach Sydney gegangen. Genauso wenig hätte ich von dir erwartet, dass du zu mir nach Wien kommst. Die Heimat aufgeben bedeutet Menschen aufgeben. Freunde, Kollegen, Familie, Bekannte. So etwas macht man nicht wegen eines kleinen Sommerflirts.

„Machen wir’s kurz und schmerzhaft“, hast du gesagt. Wir löschten gegenseitig unsere Handynummern und damit war jegliche Kontaktmöglichkeit gekappt. Mehr hatten wir ja nicht. Keine Adresse, keine Mailadresse, nichts. Dann gingst du zum Gate, ohne dich auch nur ein Mal nach mir umzudrehen. Dieser Abschied schmeckte bitter. So endgültig.

Vor zwei Wochen war ich wieder in Brighton. Eines Abends saß ich am Pier und schaute in den Ärmelkanal hinein. „Irgendwo am anderen Ende dieser endlosen Wassermassen liegt Sydney“, habe ich mir gedacht. Irgendwo da draußen bist du, auf der anderen Seite dieses riesigen Planeten, den wir Erde nennen. Wusstest du eigentlich, dass viele Amerikaner Australien und Österreich für dasselbe Land halten? Wenn sie recht hätten, dann wäre vieles einfacher gewesen für uns.

Wie geht’s dir? Denkst du noch ab und zu an mich, oder bin ich schon vergessen? Ich weiß es nicht und werde es nie wissen. Weil du diesen Brief nie lesen wirst.

© Fabian Ganauser 2021-06-15

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