Ein Date mit der Realität

Pia Steinberg

von Pia Steinberg

Story
2024

Ich hatte mich geschminkt, die Haare zurechtgebunden und seine Sweatshirt-Jacke ausgezogen – alles, weil wir uns zum ersten Mal seit der Trennung sehen sollten. Uns entfernten mehr als 2.000 Kilometer, aber fünf Minuten, bevor sein Bild auf meinem Bildschirm erscheinen sollte, war ich so aufgeregt wie bei unserem ersten Date – nur mit weniger Zuversicht. Pünktlich um 12:15 Uhr blickte ich in ein Gesicht – doch nicht in seins. Ich fragte mich, was mein Auftreten ihm einreden könnte. Zu viel Make-up hätte den Anschein erweckt, es ginge mir blendend und die Trennung ließe mich kalt – genauso gelogen wie seine Behauptung, dass in dem Fotoordner seines Handys nur sieben bekleidete Bilder seiner Ex zu finden seien.

Welche Gedanken mich vorher auch bewegt hatten, sie wurden um Punkt 12:19 Uhr von aufbrausender Wut überschattet, als er endlich den Hörer abnahm und mich mit verschnupfter Nase darum bat, ihm den Link zum Termin zu schicken.

Er kam zu spät zu unserem Business-Meeting und durch seine Nase floss dasselbe blaue Blut wie durch sein Glied. War der Schnupfen bloß eine Nebenwirkung der kurzzeitigen Befriedigung, die er sich gestern verschafft hatte? Nachdem er bereits einen Tag nach unserer Trennung sein Zeugnis an Unprofessionalität abgelegt hatte, indem er meinen Namen aus dem Impressum unserer gemeinsamen Firma strich, bemühte ich mich mit aller Kraft, Ruhe zu bewahren. All die Male hatten wir dieses Meeting Schulter an Schulter geführt. Meine Hand lag auf seinem Schoß, während wir uns gegenseitig die Sätze vollendeten und ein gemeinsames Leben aufbauten. Doch heute hörte ich das Rascheln der Hotelbettdecke durch sein Mikrofon und sah – trotz der ausgeschalteten Kamera – die Frau neben ihm im Bett.

Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „I´m allergic to Idiots“ und ich wundere mich, dass er keinen Hautausschlag bekommt, sobald er es trägt. Also führe ich mir vor Augen, dass das, was angezogen attraktiv und einladend wirkt, einst enthüllt, einen ernüchternden Eindruck auf die Frauen macht, die nicht lange bleiben, weil er es so wünscht. Dabei formt ein ergiebiger Charakter seine Silhouette, die sich durch seine Haut drückt, wie einst meine Fettpolster bei einem hautengen Kleid.

Und plötzlich, wie bei einem auftretenden Platzregen, verwandelt sich seine eiskalte Art in eine hoffnungsvolle Rede. Doch ich spanne den Schirm auf, damit die Tropfen mich nicht berühren. Denn solange ich einen ganzen Ozean voller Liebe verdient habe, gebe ich mich nicht mit einem Wetterumschwung zufrieden, den alle vorhergesehen haben.  Während ich das Wetter weiterhin mit meinen klaren Worten und offenen Berichten beeinflusse, breiten sich um ihn die schützenden Schirme aus. Ich spüre, wie der Wind sich dreht und ein Hagelsturm heraufzieht, denn er kann nichts mehr und nichts weniger befeuchten als die Freundin, von deren Existenz ich nichts wusste – die, von der er beteuert, sie hätten die ganze Nacht nur geredet. Also ziehe ich mich in meine schützenden vier Wände zurück, die Tür einen Spalt geöffnet – für den Fall, dass doch noch eine rettende Erklärung kommt.


© Pia Steinberg 2024-08-31

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Traurig, Angespannt