von Sigrid Farber
Mit 17 Jahren verbrachte ich die Weihnachtsferien bei meinem Freund in Zell am See, wo seine Eltern ein Ferienhaus besaßen. Es war ein sehr kalter Winter: Wir stapften durch schneebedeckte Waldwege, vergnügten uns auf dem zugefrorenen Zeller See und gingen natürlich auch schifahren.
Mein Freund war der bessere Schifahrer, aber ich bemühte mich, mit ihm mitzuhalten, was mir oft auch gelang. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: meist fuhr er mir voran und wartete, bis ich nachgekommen war. So auch am Silvestertag. Wir hatten beschlossen, den schönen Tag zum Schifahren zu nützen, ehe wir dann am Abend mit seinen Eltern den Jahresausklang feiern wollten. So fuhren wir also auf die Schmittenhöhe, die angenehme Piste hinunter, dann wieder mit dem Schilift hinauf – das ganze wiederholte sich einige Male.
Irgendwann, es begann schon zu dämmern, fuhr ich meinem Freund hinterher, sah ihn aber plötzlich nicht mehr. Überhaupt waren kaum noch andere Schifahrer unterwegs, und die Sicht war schon schlecht. Ich fuhr weiter und befand mich unversehens auf einem sehr steilen Abhang, der stellenweise stark vereist war. Das konnte nur die berüchtigte „Trass“ sein, die steile und unangenehme Lifttrasse, vor der ich mehrfach gewarnt worden war.
Da stand ich nun mitten auf dieser für mich als „Sonntags-Schifahrerin“ gefährlichen Strecke, war schon zu weit unten, um wieder zurückzustapfen, traute mich aber nicht, weiter hinunterzufahren, da ich den Weg nicht kannte und auch kaum noch etwas sah in der Abenddämmerung. In meiner Verzweiflung setzte ich mich in den Schnee und – wartete auf den Tod. Es klingt pathetisch und irreal, und so fühlte ich mich auch. Nun muss ich wohl erfrieren, dachte ich, bin nur 17 Jahre alt geworden, eigentlich zu jung zum Sterben. Aber ich sah keinen Ausweg, war ganz allein auf weiter Flur, und es wurde zunehmend dunkler. Ich werde also einschlafen, wie das Mädchen mit Schwefelhölzern aus dem Andersen-Märchen, das auch erfroren ist.
Während ich noch meinen Gedanken nachhing, tauchte wie aus dem Nichts ein Schifahrer neben mir auf. Es war ein junger Deutscher, er fragte mich, was ich hier mache. „Ich trau mich nicht, weiterzufahren“, sagte ich. „Das ist mir zu steil und zu eisig, muss wohl hier bleiben.“ „Ach was“, sagte er. „Sie geben mir jetzt Ihre Schier, ich fahre vor, und Sie rutschen am Hosenboden hinterher. Das schaffen wir schon!“
Gesagt, getan. Er schulterte meine Schi und fuhr langsam hinunter, ich rutschte hinter ihm her. Als wir unten angekommen waren, war es bereits stockdunkel. Mein Retter begleitete mich noch bis zum nächsten Café, wo ich mich, zitternd und durchnässt, aufwärmen sollte. Zufällig kam auch mein Freund gerade zu diesem Café, der mich voller Sorge schon seit längerem gesucht hatte. Erleichtert und glücklich fielen wir uns in die Arme, mein „Engel“ zog sich diskret zurück. Ich konnte ihm gerade noch ein leises „Danke“ nachrufen, dann war er in der Menge verschwunden.
© Sigrid Farber 2020-12-04