Ein fast perfektes Date

Marcus Henkel

von Marcus Henkel

Story

Der Kaffee war eher mittelmäßig und das Stück Schwarzwälder Kirschtorte eine Zumutung. Wenigstens das Wetter machte einen guten Eindruck, und so genoss ich den sommerlichen Tag im Café dann doch irgendwie. Viel war nicht los. Die meisten nahmen sich ein Eis auf die Hand und schlenderten weiter durch die Innenstadt. Auf der anderen Straßenseite gab es ebenfalls ein Café, auch dort saßen noch nicht viele Leute und mir fiel eine junge Frau auf. Sie saß, genau wie ich, allein an einem Tisch und hatte ein Getränk vor sich stehen. Es wirkte auf mich sofort, als wäre sie das perfekte Gegenstück zu mir. Je länger ich sie anschaute, desto mehr zog es mich in ihren Bann. Ich stellte mir alle erdenklichen Fragen. Warum saß sie dort allein? Wie sie wohl hieß? Was sie heute noch vor hatte? Ich spann alle möglichen Szenarien durch, aber eines ließ mich nicht mehr los. Was, wenn ich einfach zu ihr rüber gegangen wäre, mich zu ihr gesetzt hätte? Sie gefragt hätte, ob der Kaffee hier besser wäre? Wir wären ins Gespräch gekommen und hätten uns bestimmt gut verstanden. Ich hätte sie gefragt, ob sie Lust auf einen Spaziergang hätte. Wir wären zusammen durch die Altstadt gelaufen, die großartigen Bauwerke bewundernd, und sie hätte vielleicht sogar über ein schlechtes Wortspiel von mir gelacht. Die Zeit wäre nur so dahingeflogen, bis wir bemerkten, dass es schon fast Abend war. Sie hätte vorgeschlagen, noch raus zum Sommernachtsfest zu fahren, das jedes Jahr am Schloss stattfand, und ich hätte begeistert zugesagt. Fasziniert vom Trubel und all dem Treiben der kostümierten Gesellschaften, hätte sich langsam ein Zauber auf uns gelegt. Wir hätten uns einen Pappbecher Wein geholt und auf die Wiese gesetzt, der Band, deren Bühne inmitten des Sees aufgebaut war und die moderne Musik in klassischem Gewand spielte, gelauscht und der Magie des Abends weiter ihren Lauf gelassen. Ich hätte meine Jacke ausgebreitet, weil wir nicht an eine Decke gedacht hätten, und dann lägen wir eng zusammen, bis ich mich getraut hätte, meinen Arm um sie zu legen. Zum Abschluss des Fests hätte ein Feuerwerk den Nachthimmel erhellt und das Date perfekt abrundet. Als hätte man es nicht besser planen können.

Ich schaute wieder rüber zu ihr. Ja, ich würde es wagen. Warum sollte es nicht so laufen? Eilig zahlte ich meine Rechnung und machte mich auf den Weg zu ihr. Auf halber Strecke sah ich plötzlich, wie ein Mann zu ihr an den Tisch kam und ihr zur Begrüßung einen Kuss gab.

„Aber… ich… hatte doch schon alles so gut durchdacht…“, murmelte ich vor mich hin, während ich wie angewurzelt auf der Straße stehen blieb. Ein Auto musste eine Vollbremsung hinlegen, um mich nicht zu überfahren. Das laute Hupen des Fahrers, ließ alle rings herum auf mich aufmerksam werden. Auch mein imaginäres Date und ihr Freund schauten mich nun an und beide runzelten nur verwundet die Stirn. Ich entschuldigte mich beim Fahrer, der immer noch wild gestikulierend hinter seinem Steuer saß, und schlich desillusioniert davon.

© Marcus Henkel 2022-05-09

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