Ein Ferngespräch – erster Teil

Leo Mladzinau

von Leo Mladzinau

Story

Das Klingeln an der Haustür erstarb in reger Gesprächskanonade der Gäste und musste noch einige Male belebt werden, um die Aufmerksamkeit des Wohnungsinhabers Thomas Quartzhof zu erregen. Das beseelte Terrain zwischen dem Sofa und der Eingangstür überquerte er leicht beschwipst, gelegentlich unter überraschten Ausrufen derjeniger, auf dessen Füße er einige Male trat und alleine die Komplimente der Gäste über die ausgefallene Innenausstattung und Farbkombinationen ließen ihn länger auf der Stelle verharren, den diesen musste mit Großzügigkeit zugestimmt werden. Im Gegensatz zum Großteil seiner Bekanntschaften, die ihren Haushalt entweder mit Kommilitonen oder gar mit Familienangehörigen teilen mussten, war es Thomas endlich gelungen, wenngleich nicht ohne finanzielle Unterstützung seiner begüterter Eltern, sich in der zentral gelegenen Munizipalwonne niederzulassen – eine, wie er sagte, kollektive Errungenschaft, die in diesem Moment zelebriert wurde. Sobald der Austausch an der Sprechanlage beendet war, schlug Thomas einen anderen Weg durch die Menschenmenge an, machte einen Halt an der Speisekammer und kehrte triumphierend an seinen rechtmäßigen Platz zurück, um seine Freunde mit Essenstrophäen zu versorgen. „Wer war das?“, erkundigte sich die zukünftige Personalmanagerin Anita Sauerwall, von ihren Freunden auch „Annie“ genannt.

„Ein Freund von mir“, antwortete Thomas über die Musik hinweg, „er raucht draußen noch eine und schaut dann kurz ‚rein“.

„Ist er wenigstens unterhaltsam?“, fragte ihn sein Kommilitone Sascha Krempell und grinste dabei schelmisch.

„Pass auf“, wandte sich Thomas an einen weiteren Gast, der neben Sascha saß, „der ist schon eine Persönlichkeit und dazu noch dein Landsmann!“ Der Gast, mit dieser Antwort zufriedengestellt, reagierte zunächst mit einem herzlichen Nicken, doch spannte sich daraufhin an und leerte seine Bierflasche in drei scharfen Zügen. „Willst du noch mehr?“, fragte Thomas nach.

„Ne, danke, muss morgen früh ‘raus“, erklang die an einen leichten Akzent gebundene Antwort. „Sag mal, ich hab‘ dich vorhin unterbrochen. Was war das nochmal mit den Parlamentswahlen?“, ermutigte Thomas seinen Gast, die Erzählung wieder aufzunehmen. Sascha setzte sich dabei näher an den Gast. „Stimmt es eigentlich, dass der unabhängige Kandidat mit seiner eigenen Zimmerpflanze vergiftet wurde?“.

„Genau“, stimmte auch Annie ein, „das hab‘ ich auch gelesen in dem „Neun Rebell“!“. Der junge Mann, dessen Name sich nicht nur in der Aussprache, sondern auch in der Herkunft und sogar im Alphabet von denen der Versammelten unterschied, richtete sich auf und fuhr nach einer kurzen Pause mit der Darlegung seiner nicht weniger besonderen Sichtweise fort. „Es geht hier, so denke ich, nicht so sehr um die vermeintliche Vergiftung selbst, wie mehr um die Tatsache, dass der Kandidat verschwand. Früher war es ja so…“

„Verschwand? Glaubst du wirklich daran, dass er einfach verschwand?“, Annie nahm seine Interpretation nicht unbeteiligt auf.

© Leo Mladzinau 2024-03-05

Genres
Romane & Erzählungen