Ein Frauenschicksal

Ulrike Puckmayr-Pfeifer

von Ulrike Puckmayr-Pfeifer

Story
Wien 1979 – 1990

Kennengelernt habe ich sie im Park, als meine Kinder noch klein waren. Sie war nie in die Schule gegangen. Konnte weder lesen noch schreiben, war also Analphabetin. Ihr Deutsch reichte gerade zur Verständigung. Sie hatte drei Töchter und einen kleinen Sohn.

Sie kam aus der Osttürkei. Aufgewachsen in unvorstellbarer Armut, mit vielen Geschwistern, auf die sie schon in jungen Jahren aufpassen musste. Es gab oft nicht einmal genug zu essen. Blätter wurden gesammelt, gekocht und gegessen, erzählte sie mir.

Mit 15 wurde sie verheiratet an einen Mann, den sie nicht liebte, vertraute sie mir an. Es war in ihrem Kulturkreis üblich, dass Mädchen diesen von den Eltern vorgegebenen Weg widerstandslos einschlugen. Ohne Bildung, ohne Beruf, ohne finanziellen Hintergrund gab es für Mädchen keine andere Wahl als zu heiraten oder als ewige Jungfrau im Haus ihrer Herkunftsfamilie als Hilfskraft ein bescheidenes Dasein zu fristen.

Die Zeit schien dort still gestanden zu sein. Im vorigen Jahrhundert war es auch in Österreich nicht viel anders. Für Mädchen war die Ehe höchstes Lebensziel. Die übrig gebliebenen Mädchen jenseits der 20 wurden im Dorf mitleidig belächelt.

Fatima wurde meine Freundin. Wir verstanden uns gut. Sie lud mich zu sich nach Hause ein. Die Wohnung bestand aus zwei Räumen. Es gab kein Badezimmer. Keine Waschmaschine. Die Toilette auf dem Gang. Sie war Hausmeisterin in diesem Haus. Ihr Mann arbeitete als Bauarbeiter. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, wollte er pünktlich sein Essen auf dem Tisch haben. Und Fatima bemühte sich, ihm alles recht zu machen. Auch die Töchter — sie waren damals zwischen acht und zwölf Jahre alt — waren um das Wohl ihres Vaters besorgt. Trotzdem kam es immer wieder vor, dass er gewalttätig wurde. Natürlich nicht in meiner Gegenwart, da spielte er den aufmerksamen Gastgeber. Es wurde mir immer Tee serviert. Gemütlich saß ich auf dem Sofa, trank Tee, plauderte mit Fatima, während die Kinder um uns herum spielten. Es entwickelte sich eine sich gegenseitig bereichernde Freundschaft. Ich durfte meine Kinder zu ihr nach Hause bringen, wenn ich eine Kinderbetreuung brauchte. Sie kam zu mir, um Wäsche zu waschen und zu baden. Es war ein schöner Austausch.

In Ihrer Ehe sah es nicht gut aus. Wenn ihrem Mann etwas nicht passte, erhob er die Hand gegen sie. Auch seine Töchter schlug er. Ich erinnere mich noch an ihre Blutergüsse und roten Striemen. Nur der Sohn durfte nicht geschlagen werden. Er wurde wie ein kleiner Prinz behandelt, gottgleich, der ersehnte Stammhalter, nachdem drei Töchter geboren waren.

Fatima bekam noch zwei Töchter. Nach der letzten Schwangerschaft wurde sie sterilisiert, ob freiwillig oder mit sanftem Zwang, kann ich nicht sagen. Sie bekam daraufhin schwere Depressionen. Und dann wurde Brustkrebs diagnostiziert. Bei meiner letzten Begegnung mit ihr sagte sie, das käme alles vom Stress. Bald darauf starb sie, etwas über 40 Jahre alt geworden.

Ihr Mann holte sich bald darauf eine junge Frau aus der Türkei.

© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2020-11-16

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Biografien
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Traurig
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