Ein ganz gewöhnliches Treffen

Fritz Schuler

von Fritz Schuler

Story

Wie anders als seltsam kann man es bezeichnen, wenn sich völlig unerwartet Marktbegleiter bei uns melden, die fünf bis zehn oder mehr Jahre nichts von sich haben hören lassen. Und auf einmal wollen sie sich mit uns treffen. Für gewöhnlich schnappen sie uns lieber die Kunden oder Projekte vor der Nase weg – unbehelligt, ohne viel zu reden. Und dann das! Wie erklärt man sich nun diese plötzliche Verhaltensveränderung?

Davor sollte ein Leser vielleicht wissen, dass eine Ausschreibung vorangegangen ist, in der der Markt abgefragt wurde. Und in dieser Ausschreibung geht es um eine Neuvergabe jener Leistungen, die der Marktbegleiter seit etwa fünf Jahren erbringen darf. Wissen sollte man auch, dass Ausschreibungen und Neuvergaben in unserer Branche nichts Ungewöhnliches sind. Große Konzerne -wie zumeist unsere Kunden- dulden keine „zu sehr gewachsenen Nahverhältnisse“ mit Partnern. Warum also wollen sie sich gerade jetzt mit uns treffen? Offenbar wollen sie ihre Kontrahenten kennenlernen, geben wir uns selbst die Antwort. Und offenbar fürchten sie um ihren Noch-Auftrag, für den auch sie sich mittels Ausschreibung neu bewerben müssen. Interessant zu wissen wäre wohl, ob sie sich mit jedem Marktbegleiter treffen. Wohl kaum. Das nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Warum also dann jetzt treffen? Offenbar gibt es eine Dringlichkeit, die auf das Projekt zurückzuführen ist. Dringlichkeiten dürfen aber in keinem Fall preisgegeben werden. Das verriete Gewissheit. Und Gewissheit darf es bis zur finalen Entscheidung nicht geben. Deshalb wird im anschießenden Treffen die Dringlichkeit als „einfach so“ runtergespielt und möglichst wenig Geschäftliches „gestreift“. Offenbar –schließen wir weiter- stellt unser Angebot eine ernstzunehmende Gefahr für unseren Marktbegleiter dar. Wenn das so ist, dann stellt sich die nächste Frage: woher wissen sie von der Gefährlichkeit unseres Angebotes, wenn Anonymität im Ausschreibungs-Verfahren gewährleistet ist? – Jetzt ist es an der Zeit für den Leser zu lüften, was er und die Branche auf keinen Fall wissen sollte: dass nämlich der Berater, der die Ausschreibung erstellt hat, eine Nähe zu jenem Marktbegleiter hat. Woher wir das wissen? Nach vielen Jahren in der Branche hat man gelernt die Zeichen zu deuten. Und das ist für uns wohl auch die einzig logische Erklärung für ihre Dringlichkeit auf ein Treffen und woher sie zu ihrem Wissen kommen, wenn sie nicht alle Marktbegleiter getroffen haben.

Insgeheim freuen wir uns natürlich, weil wir davon ausgehen können ein „heißes“ Angebot erstellt zu haben, welches offenbar Eindruck erzeugt hat. Noch aber heißt es: cool bleiben. Noch ist nichts entschieden. Weswegen wir weiter „mitspielen“ in diesem seltsamen Spiel, das da lautet: sich nicht weiter beeindrucken lassen –von nichts und niemanden- und den Ausgang der Ausschreibung gespannt abwarten bis zum Ende: ob bitter oder süß.

© Fritz Schuler 2020-07-23