Ein ganzes halbes Leben

Wortwaisen

von Wortwaisen

Story

Es war ein ganzes Leben – eine ganze Welt, die sich uns erschloss auf Papier – und doch war es nur ein halbes Leben, denn die Wahrheit stülpte sich irgendwann ins Innen und Außen, sodass sich alles als Illusion entpuppte. Ein Spiel, wo die Regeln nur einer Person bekannt waren. Wie sehr muss ich dich verletzt haben – und doch bist du mir das Messer in meiner Seele, wie ich das deine im Herzen. Wühlten wir uns durch die Tage, Wochen, Monate – bestärkten uns auf dem Weg, den wir gemeinsam gingen. Und doch war es nie unsere Mission miteinander zu bleiben – selbst als du wusstest, wer ich bin. Ich wäre schon noch ein guter Begleiter gewesen – du hättest vieles lernen können, außer die Lektion, die wir beide mit der Wahrheit lernen durften. Ich hab da einen Song im Ohr, der unsere Leichtigkeit so sehr beschreibt und dennoch singt der Sänger von Stille und Einsamkeit, eben weil du nicht da bist.

Du fehlst. Nicht immer. Aber doch manchmal. Wir haben das Jahr noch nicht überstanden, verweilten wir doch bisher 34 Wochen in Stille, die ich dann brach, um dir einfach zu zeigen, wie gewachsen ich bin. Wie sehr ich noch immer ich bin, obwohl mir die Schuhe nicht mehr passen, die mich damals durch unsere Welt trugen. Aber du hast dich verändert. Deine letzte Nachricht zu meinem Geburtstag las sich herzlich – aber jetzt – ich kann mich täuschen, denn ich kenn dich nicht mehr.

Letzte Nacht hab ich von dir geträumt. Du warst glücklich, umgeben von Musikern, die die Welt mit dir teilten. Einer von ihnen hatte blaue Augen – so blau wie das Meer in Andalusien – und Locken. Es waren Momente der Leichtigkeit, des Lachens, der Freiheit. Du warst im Einklang mit dir selbst, du warst frei. Als ich erwachte, fühlte ich eine Mischung aus Traurigkeit und Frieden. Die Realität, die ich mir damals gewünscht hatte, war nicht die, die ich jetzt vorfand. Sie war anders, schwieriger. Aber dieser Traum fühlte sich wie ein Abschied an, der mich mit einer Wahrheit konfrontierte:

Manchmal muss man loslassen, um endlich wieder zu leben.

Ich hatte lange geglaubt, ich könnte Teil deiner Geschichte bleiben, ein Begleiter auf deinem weiteren Weg. Doch jetzt verstehe ich: Du hast deinen eigenen Weg gefunden, hast dich weiterentwickelt und deinen Frieden gefunden. Unsere Wege sind auseinandergegangen, und das ist in Ordnung. Es war schmerzhaft, diese Wahrheit zu erkennen, und dieser Schmerz fühlte sich wie ein Messer in meiner Seele an – nicht um zu zerstören, sondern um zu heilen. Denn in diesem Schmerz lag die Wahrheit des Loslassens. Die Stille zu akzeptieren, die mir nun den Raum gibt, mich selbst zu finden, ist nicht immer leicht. Unsere Freundschaft war nie dazu bestimmt, für immer zu bestehen, aber sie hat uns beide verändert, hat uns auf unseren jeweiligen Wegen begleitet. Es ist ein neuer Anfang. Ich weiß, dass du nicht mehr der Mensch bist, den ich einst gekannt habe. Loslassen bedeutet nicht zu vergessen, wer wir waren und was uns verbindet, aber es ist notwendig, damit wir beide weiterwachsen können. Das ist das größte Geschenk, das wir uns machen können. Ich darf loslassen, ohne den Schmerz zu leugnen, und erkennen, dass der wahre Frieden darin liegt, dass wir beide frei sind.

© Wortwaisen 2025-04-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Inspirierend, Traurig, Inspiring
Hashtags