Als Alice neu in die Klasse gekommen war, da hatte Ron schon gewusst, dass sie etwas ganz Besonderes war. Nie zuvor hatte er ein Mädchen gesehen, das hübscher war als Alice. Ihr brünettes Haar hatte sie immerzu mit einer Schleife zusammengebunden, ihre Augen hatten die Farbe von saftigem Moos und ihr Lächeln verlieh ihm das Gefühl von tausend Schmetterlingen im Bauch. Ja, er war hoffnungslos in Alice verliebt. Es war das erste Mal, das Ron überhaupt dieses Gefühl erlebte, das er sonst nur aus Büchern und Filmen kannte. Doch leider war er damit nicht alleine. Auch seine Klassenkameraden beteten Alice an. Und was hatte er schon für eine Chance? Er war doch nur der Streber. Der uncoole Nerd mit Brille, der zu schüchtern war, um sich im Unterricht zu melden. Wie sollte er jemals ein Mädchen wie Alice auf sich aufmerksam machen?
Tony hatte die besten Chancen und das wusste er auch. Er war sportlich, beliebt und cool. „Hey, Alice.“, sprach er sie bei der erstbesten Gelegenheit an. „Hättest du Lust mit mir ins Kino zu gehen?“ Tony schenkte ihr ein charmantes Lächeln. Zurückhaltend willigte sie ein. Sie war ja neu in der Klasse und freute sich wahrscheinlich, erste Kontakte zu schließen. Selbstsicher erzählte Tony an diesem Tag allen, dass er mit Alice verabredet war. Er war sich wohl schon sicher, dass sie bald zusammenkommen würden.
In der Pause stand Alice bei Tonys Clique. Das Gelächter schallte bis zu Ron hinüber, der wie jede Pause in einer ruhigen Ecke verbrachte. Oft las er ein Buch, damit er nicht so verloren herumsaß. Wie sehr wünschte er sich, dass Alice ihm Gesellschaft leisten würde. Doch er hätte sich niemals getraut, zu Tony Clique zu gehen. Traurig starrte er auf das aufgeschlagene Buch vor ihm. Er fasste Mut. Vielleicht waren Gespräche nicht seine Stärke, dafür war er viel zu unsicher. Aber Schreiben, das konnte er. Sogar der Lehrer lobte Ron für seine einfühlsam geschriebenen Texte. Der Schüler zog Block und Stift aus seiner Tasche und schrieb nieder, was ihm in den Sinn kam. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf, verfasste alles, as er niemals zu sagen wagte. Am Ende der Pause hatte er ein fertiges Gedicht. Ein Gedicht, das Alice gewidmet war. Wahrscheinlich würde sie es furchtbar altmodisch finden und ihn auslachen, aber das war Ron egal. Er wollte, dass Alice von seinen Gefühlen wusste.
Unauffällig reichte Ron ihr das zusammengefaltete Papier, während er das Klassenzimmer betrat. Er verkrümelte sich auf seinen Platz und beobachtete, wie Alice es auseinander faltete und las. Die ganze Stunde konnte er sich nicht mehr konzentrieren, so angespannt über ihre Reaktion war er.
Endlich ertönte der Gong. Ron wartete bis alle den Raum verlassen hatten und ging erst ganz als Letzter. Vor der Türe wartete niemand anderes als Alice. Ohne etwas zu sagen, hauchte sie ihm sanft einen Kuss auf die Wange. Verdutzt blickte er in ihre moosgrünen Augen. „Ein Gedicht kann so viel mehr aussagen, als oberflächliches Gerede.“, flüsterte Alice.
© Melina Albandopulos 2022-08-22