Ein Hammer für Uli

Latif Hávrest

von Latif Hávrest

Story

Kennst du „Die Geschichte mit dem Hammer“ von Paul Watzlawick; Anleitung zum Unglücklichsein? Also gut, ich erzähle sie:

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgetäuscht, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

So war auch Ulrike, eine Arbeitskollegin, die seit kurzem bei uns im Team arbeitete. Sie bezog jede Mimik, jede Gestik, jeden Wink, jeden Räusperer, der aus irgendwoher kam, jede Äußerung, die irgendwer von sich gab und ihr in keiner Weise gegolten hat, auf sich, und nörgelte und klagte, wie gemein die Leute zu ihr sind, obwohl sie niemandem was getan hat, und glaubte, die ganze Welt habe gegen sie verschworen.

Einmal wurde eine Kündigung durch den Betriebsrat abgewendet. Die Leitung hat sie zu Seminaren über Kommunikation, soziale Kompetenz und positives Denken geschickt. Auch die Kollegenschaft hat versucht, sie in die Teamgemeinschaft einzubinden, um sie ins Team zu integrieren, aber mit wenig Erfolg.

Heute war einer dieser Tage, an dem Ulrike nicht ansprechbar war. Sie polterte, schimpfte und fluchte mit leiser Stimme „Was soll diese Gemeinheit, das kann man nicht machen, das ist unangebracht … sich einfach und unerlaubterweise an meinem Tisch setzen. Das ist respektlos, das geht nicht.“

Später haben wir von Paula, der einzigen Kollegin, zu der Ulrike ein vertrautes Verhältnis hatte, erfahren, dass sie – die Ulrike – letzte Nacht schlecht träumte. Im Traum war sie in einem Restaurant mit Selbstbedienungsbuffet. Sie holte sich einen Teller Suppe und stellte sie auf einen Tisch. Dann ging sie zurück zum Buffet um Besteck zu holen. Als sie zu ihrem Tisch zurückkam, lagen zwei andere Teller Suppe, die scheinbar zwei anderen Leuten gehörten, da. Bald kamen zwei Frauen mit zwei Tellern Salat und wollten sich am Ulrikes Tisch setzen. Ulrike schrie sie an „Seht Ihr nicht, dass dieser Tisch besetzt ist, Da steht eindeutig mein Teller und mein Besteck, und Ihr kommt daher und setzt euch an meinem Tisch?

Das alles passierte im Traum. Aber für Ulrike war alles auch am nächsten Tag noch lebendig und ärgerte sich darüber, dass die zwei Frauen IM TRAUM ihren Tisch okkupiert haben.

© Latif Hávrest 2020-09-08

Hashtags