Es ist Sommer geworden. Ein strahlend blauer Himmel über den Dächern der bewegten lebendigen Stadt. Die Nacht ist sanft und mild nach so einem warmen Tag.
Die Kurse an der Volkshochschule ruhen. Bis Oktober.
Wenn ich genug Mut hätte, würde ich mir andere Kurse suchen. Überhaupt würde ich gerne anders leben. Aber das ist ein weites Land. Selbstverwirklichung, das eigene Leben leben. Wo ist mein Leben? Seine Spuren sind vom Sand verweht, von den Wellen des Meeres fortgespült, in den Flammen heftiger Gefühle verbrannt.
Um mich ist der Augenblick: die angenehm milde Luft der Sommernacht auf meiner Haut, der Lärm vorbeifahrender Autos, Musik aus der Diskothek von vis-a-vis, das Läuten des Telefons. Meine Mutter, meine Vergangenheit – noch immer ein unaufgelöstes Bündel verwirrender Gefühle. Es fällt mir schwer, mit meiner Vergangenheit zu leben, sie in mein jetziges Leben zu integrieren. Da sind so viele angebrochene, nicht zu Ende gedachte Gedanken. Mich interessiert das Haus meiner verstorbenen Tante in Weiden nicht. In diesem abbruchreifen, verfallenen, erinnerungsschweren Haus möchte ich nicht leben.
Ich möchte fort, weit fort. Alles hinter mir lassen, die ganze quälende Vergangenheit, all die Schmerzen meiner Kindheit und Jugend. Und endlich einmal leben, den Saft des Lebens durch meine Adern fließen spüren, von Energien durchströmt werden bis in die Finger- und Zehenspitzen hinein. Und von den Verletzungen, die sich wie Pfeile in meine Seele bohren, nichts mehr wissen. Ganz leicht, in tänzerischen Bewegungen durch das Leben gleiten, in einer aufregenden Leichtigkeit des Seins.
Ich weiß nicht, warum mein Leben so schwer ist, so zähflüssig wie eine träge Masse, die durch die Zeit fließt.
Ich wünsche mir ein Haus am Meer, einfach eingerichtet, mit weiß gestrichenen Wänden. In der Nacht, wenn alles still ist, höre ich nur die Wellen rauschen. Ein großes, weiches, zu schönen Träumen einladendes Bett, einen kuscheligen Teppich, der meine Füße streichelt. Bücher, und ich schreibe, schreibe Geschichten, die Geschichte meines Lebens. Ich schreibe mich von meiner Vergangenheit frei. Vielleicht liest dann irgendwann einmal jemand meine Geschichte, vielleicht auch nicht. Zu diesem Leben, das ich mir manchmal in meiner Fantasie zusammenträume, gehört viel Alleinsein. Trotzdem träume ich auch von einer zarten, die Tiefen meiner Seele berührenden Liebesgeschichte. Eine Liebe, die nur Liebe ist. Eine Liebe, die mich leben lässt, die von mir nicht Besitz ergreift. Eine Liebe, die mich lebendiger macht, die meine Energien zum Strömen bringt, die mir Hoffnung gibt, eine Liebe, die das Leben ist. Eine Liebe, die frei ist vom Beigeschmack des Schmerzes und der Angst. Eine Liebe, die mich erfüllt.
Was ist das für eine Liebe, an der ich leide? Wozu diese Quälerei, diese Selbstaufgabe für die Hoffnung auf ein kleines bisschen Glück und Zärtlichkeit. Mein Kopf schmerzt. Meine Gedanken haben ihn zum Hämmern gebracht.
© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2021-01-04