von Brigitte Böck
Gestern sitze ich gemütlich auf meinem Sofa und beobachte hingebungsvoll durch die offene Balkontür eine Spatzenmutter. Sie sitzt mit ihrem Babyspatz im vollen Futternapf auf meinem Balkon und schiebt Körnchen um Körnchen in den weit aufgerissenen kleinen Schnabel. Eine Ringeltaube kennt diese Stelle auch und will dort landen. Vor Schreck fliegt die Mutter in den Garten und das Kleine in die andere Richtung mitten in mein Wohnzimmer. Es dreht hektisch zwei Runden und landet hinter meinem schweren Bücherregal, das etwas von der Wand absteht.Oh Schreck, dieses Regal ist so schwer, ich kann es nicht wegschieben und ausräumen dauert zu lange, dann stirbt das Spatzenkind vor Angst. Ich hole den Besen, wickel ein Küchenhandtuch drum und rücke den Fernseher und den Sessel weg. Dann presse ich mich an die Wand und schiebe den Besenstiel vorsichtig hinter das Regal, während ich dem bösen Ischias streng befehle, sich zu verziehen. Ich spüre einen leichten Widerstand am Besen und schiebe ihn cm für cm nach oben. Immer wieder sage ich zu dieser Handvoll Leben: „Bleib ganz ruhig, wir schaffen das!“ Endlich, nun sitzt er oben auf dem Regal, er sieht sehr staubig aus. Es ist eine ganz neue Art, Staub zu wischen! Ich gebe ihm Zeit, strecke meine Glieder und setze mich erst einmal. Er übt seine Flügel und fliegt los, gegen das große Balkonfenster. Der Aufprall ist sanft, da eine durchsichtige Gardine ihn abfängt, aber er landet hinter der Heizung. Was nun! Ich lege mich auf den Bauch und versuche, ohne ihn zu berühren, mit dem Besen Richtung Balkontür zu schieben. Meine Fensterbank steht voll mit Blumentöpfen, darauf nimmt er Platz, scheinbar ohne Orientierung und hüpft von eine Pflanze zur anderen. Nun bin ich dran und versuche, wieder auf die Beine zu kommen, was nicht mehr so einfach ist.Da höre ich die Spatzenmutter, sie ruft und singt, so laut und aufgeregt und sitzt wieder mitten im Futternapf. Das Kleine hat verstanden, dreht noch zwei Runden durch das Zimmer und landet dann ganz dicht draußen neben Mama und beide fliegen fort auf den nächsten Baum. Diese Aktion hat über eine Stunde gedauert, ich mache mir einen Kaffee und genieße dabei lächelnd dieses Glücksgefühl. Jeden Tag eine gute Tat macht richtig froh.
© Brigitte Böck 2021-06-25