Ein Knoten im Gartenschlauch

SophiaSparkles

von SophiaSparkles

Story

„Hey Anna. Gratuliere zum Abschluss! Gehst du wirklich weg?“, ruft er über den Gartenzaun. Es ist wirklich die klischeehafteste Begegnung, die ich je hatte. Denn ja, ich bin oft sehr negativ, was das Leben im Dorf angeht, aber mein Nachbar? Der ist wirklich heiß. SO heiß, dass meine Mutter und ich uns oft ganz zufällig an heißen Sonntagen die Liegestühle in Richtung Nachbargarten ausrichten. Mit ein bisschen Glück kommt der Nachbarsjunge und macht Dinge, die Nachbarsjungen halt so machen: Sie reinigen die Regenrinne, mähen den Rasen, gießen die Blumen usw. Aber tatsächlich legen wir keinen Wert auf seine Tätigkeiten. Es geht eher darum, wie er es macht. Meistens hat er nach 21 Minuten kein T-Shirt mehr an.

„Na Servas G’schäft“, jaulte meine Tante Lisa, die mal „ganz zufällig“ an einem heißen Sonntag auch zu Besuch war und der Nachbar so gnädig war, mal den Rasen zu mähen und dabei seinen wirklich tollen Oberkörper zu zeigen.

Woher ich wusste, dass ich absolut heterosexuell bin? In dem Moment als der Nachbarjunge zum ersten Mal vor mir sein T-Shirt ausgezogen hat. Es war im Schwimmbad und ich war zehn Jahre alt. Zuvor schwärmte ich für den Kaiser Franz Joseph aus der Zeichentrickserie „Sissi“, die absolut nicht wahrheitsgetreu ist. Mal ganz davon abgesehen, dass “Sissi”definitiv nicht blond war, und ich Geschichtsfreak schon mit fünf Jahren jede historische Ungereimtheit aus der Serie herauslesen konnte, stand ich total auf den animierten Kaiser. Mit fünf Jahren wusste ich aber noch nicht, was „heterosexuell“ hieß.

Aber als der Nachbarsjunge an einem warmen Julitag die Hüllen fallen ließ, da war ich absolut so was von heterosexuell. Nicht, dass ich ihn total lieben würde oder so was. Es war mir auch egal, welches Geschlecht er hatte. Nein, der ist einfach scharf. Punkt.

Seither stehe ich eben auf Männer. Nicht so wie meine Freundin Paula. Paula hat relativ früh gewusst, dass sie den Nachbarsjungen nicht scharf findet. Sie fand damals unsere Biolehrerin scharf. Dass Paula früh herausfand, dass sie lesbisch ist, kam nicht so gut an hier. Es wurde nie offen ausgesprochen, aber die Leute redeten. Sie redeten ununterbrochen und munkelten und munkelten. Für Paula war das unerträglich, erklärte mir meine Mutter eines Tages, als die Neuigkeit per Anruf der Schwester der Assistentin meiner Mutter kam, dass Paula weggezogen sei. „Sie wolle sich entfalten können“, hatte es im Anruf abfällig geheißen.

Ich atme tief durch und schüttle den Kopf. Ich rieche das Deo, das hier alle Jungs haben und das mich mittlerweile mehr abturnt als der Gedanke an meine Matheprüfung vor einer Woche, als sich der Nachbarsjunge dem Zaun nähert, der unsere Grundstücke trennt.

„Jup“, sage ich und bemerke, dass aus dem Gartenschlauch, mit dem der Nachbarsjunge die Blumen gießen wollte, kein Wasser kommt. Er schaut auch zum Gartenschlauch, der ganz lustlos in seiner rechten Hand baumelt. „Ohje“, sagt er, „da hab ich wohl einen Knoten im Schlauch.“

© SophiaSparkles 2022-08-04

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