von EM
Ich starre auf den Koffer. Auf nichts anderes, einfach auf den Koffer. Es ist einfach ein Koffer wie jeder andere auch. Er liegt auf einem freien Sitz, neben seinem Besitzer. Ich weiß nicht was drin ist. Ich weiß nichts über seinen Besitzer. Er ist mir eigentlich egal. Aber in diesem Moment scheint der Koffer wie etwas vollkommen anderes. Ein Tor zu einer neuen Welt. Etwas, über das ich noch nie nachgedacht habe.
Ich denke darüber nach, was ich in meinen Rucksack gestopft habe. Wie ich überlegt habe, was ich mitnehme. Herumgelaufen bin um diese Dinge einzusammeln: Dinge die jeder braucht, die ich täglich benutzte, Zahnbürste, etwas zu Essen, Bürste, Klamotten. Dinge die ich brauche um zu reisen, um so weit weg von zu Hause zu überleben. Geld, Handy, Fahrschein, Ausweis. Und die Dinge, die ich brauche um ich zu sein. Bücher, Notizbuch, Musik.
Mein Leben. Ich habe die Dinge eingepackt, die ich wirklich brauche um zu Leben. Habe das Zeug, das ich nicht brauche hinter mir gelassen. Ohne es wirklich zu wollen habe ich alles das, was mein Leben veranschaulicht mitgenommen. Ich habe quasi mein ganzes Leben in einen Rucksack gequetscht. Witzig, auf wie wenig Dinge man sich reduzieren kann.
Meine Gedanken wandern wieder zu dem Koffer, auf den ich starre. Da steckt auch ein Leben drin. Einige Dinge werden die gleichen sein. Geld, Ausweis, Zahnbürste. Allerdings werden da auch komplett andere Dinge drin sein. Die Dinge die sein Leben ausmachen. Wahrscheinlich hat er nicht mal gemerkt, das sein Leben in einen Koffer passt.
Plötzlich merke ich, dass mich jemand seltsam anschaut. Weil ich die ganze Zeit so komisch auf diesen Koffer geschaut habe. Ich wende den Blick also wieder meinem Handy zu. Meine Hand klammert sich an den Riemen meines kleinen Rucksacks, während der Zug weiter rast.
© EM 2022-08-22