von MISERANDVS
Es spricht das Herz: “Wir schreiben einen Brief!” Und durch den Leib, da rinnt mit einem Mal ein Zittern und ein Beben; das ungestüme Schlagen in der Brust steckt alle Zellen an. Die Hand fasst um die Feder, und warme Lippen formen sich zu einem Kuss. Sie pusten jedes Stäubchen fort vom Schreibgerät, dass es schön sauber schreiben soll. Ganz langsam schiebt die Hand, vor Freude und Erwartung zittrig, die Feder in das Fass, in dem die schwarze Tinte heilig ruhend schläft, gleich einem stillen Meer aus Worten, Silben, Seufzern und gehauchten Schwüren. “Nur einen Augenblick noch!“, zögert der Verstand: “Ich brauch noch etwas Mut…” “Voran! Voran!”, brüllt da das Herz, so übervoll mit dem, was hingeschrieben sein soll, dass es knarzt, als wollt‘ es bersten. Es taucht die Spitze tapfer ein, durchdringt die Oberflächenspannung, es stößt ein Kreis den and’ren los, und Wellen laufen über dunkle Tiefen. Schon kommt die Feder wieder hoch. Als wollten Silben, schön wie Küsse, hochgehoben sein, als wollten Worte schnell noch mit und eilten stürmisch, stolpernd flugs heran, als schrien Achs und Ohs und Hmms: “So wartet doch auf uns! Wir wollen hingeschrieben sein!”, zieht sich der dunkle Tintenfaden aus dem Meer der Worte hoch – unendlich schier – bis er doch reißt und sich die Tinte formt zu einem Tropfen, der hangen bleibt. Er muss fürs erste reichen.
Die Feder schwebt im stillen Schweigen, den Tropfen blubbrig dran, zu dem Papier, das endlos weit und weiß und harrend, hoffend und geduldig liegt. Da sticht die Feder sanft in Zellulose, die Fasern fassen gierig hoch, gleich tausend kleinen Ärmchen, die sich bemalen lassen wollen. Als malt‘ ein alter Meister ein Gemälde, als hätt‘ ein jeder Strich Bedeutung, als wäre jeder Schwung ein Schwur der Liebe, zieht sie, die Hand, die Feder langsam hin.
Es blühen Worte auf, es werden Sätze Leben. Es sieht das Auge hinter jedem Strich und zwischen jeder Zeile die begehrte, schöne Maid vor sich. Das Herz, das voller Zweifel und übervoller noch an Hoffnung, mal still, mal stürmisch – je nach der Empfindung – mit einem Lachen oder einer Träne langsam, wohlüberlegt diktiert, es kramt in seinem Wortefundus tief nach unten.
Es holt die Feder eilig Nachschub, weil’s Herz ins Rennen kommt. Dass nur kein Wort verloren geht! Sie soll ein jedes, jedes lesen. Schon ist die Seite vollgeschrieben. Es bleibt nur Raum für einen Gruß.
Die Feder harret in der Hand. “Wo bleibt der Nachschub, Herz?” “Moment! Nur einen Augenblick! Ich formuliere.” Es steigt die Ungeduld. Und endlich hat das Herz gefunden, was wortewürdig scheint, das Brieflein zu beschließen. Die Hand schreibt’s hin. Das Auge blickt darauf mit Wohlgefallen. Das Herz, es hechelt ganz erschöpft und tief zufrieden. Die Feder fällt, schwer angetrunken mit so vielen ungenutzten Worten noch an ihr, in einen tiefen Schlaf. Das Tintenmeer, es kommt zur Ruhe.
Penibel falzen Finger nun das Blatt, es drücken Lippen einen süßen Kuss darauf.Ob eine Antwort kommen wird?
© MISERANDVS 2021-06-08