Ein Linzer Dirndl

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Es muss im Maturajahr gewesen sein, als meine Mutter, eine gelernte Schneiderin, sagte, es ist an der Zeit, dass ich ein traditionell gefertigtes, oberösterreichisches Dirndl bekomme. Also nahm sie Maß und ermahnte mich vor jeder Anprobe, immer denselben BH zu tragen, denn die paspolierten Nähte, sagte sie, sollen einen schönen Bogen über die höchste Erhebung der Brust beschreiben und dann hinunter zur Taille laufen. So ein Oberteil, das weiß man ja, liegt körpernah an und lässt tief blicken.

Es war altrosa und schloss mit einer sogenannten Froschgoscherl-Borte ab. Zum Unterziehen nähte meine Mutter zwei weiße Blusen aus feiner Baumwolle, eine mit Puffärmeln und eine ohne. Der Rock, in den sie auf der Innenseite rund um die Taille ein graues Hanselband einarbeitete, damit er sich leichter in Falten legen lässt, war violett, mit Blumenstreumuster in Rosa. Die Schürze war weiß und hatte Blümchen im Längsstreif.

An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass mich die berufsspezifische Terminologie des Schneiderhandwerks von klein auf begleitet. Meine Mutter hat einen einschlägigen Wortschatz, von dem sie häufig Gebrauch macht. Die Bezeichnungen für Modedetails, Stoffmuster und Materialien, meist fremdländische Begriffe, sind mir vertraut. Ich wuchs auf mit Chasuble und Corsage, spielte mit Glencheck, Pepita und Paisley und spürte Georgette und Chiffon auf meiner Haut.

Als ich 1973 nach Wien kam, ging ich mit dem Dirndl ein paar Mal zu Vorlesungen, trug dazu weiße Garnstutzen und schwarze Schuhe aus Sämischleder, aber ich erntete eigenartige Blicke. Die Studentinnen trugen Jeans und weite Blusen, die aussahen, als wären es die Hemden ihrer Väter, mit aufgekrempelten Ärmeln. Töffler waren damals gerade in Mode, zu denen man auch Clogs sagte.

Lässig, das war der angesagte Look. Also kaufte ich mir auch so pantoffelartige Holzschuhe mit Lederoberteil und legte mir engsitzende Wrangler-Jeans zu. Niemand sah mir mehr an, dass ich eigentlich eine „Gscherte“ war, die aus der Provinz kam. Man hörte es vielleicht noch.

Mein Dirndl gammelte lange in einem Kasten herum. Irgendwann würde es mir vielleicht noch einmal von Nutzen sein.

Die Gelegenheit bot sich, als ich zur Lehramtsprüfung in Pädagogik antrat. Ich hatte mich bei einem Professor angemeldet, der kurz vor der Emeritierung stand. Es ging das Gerücht um, dass er eine Vorliebe für Trachten hatte. Also kramte ich mein Dirndl hervor und brachte es auf Vordermann.

Die Prüfung lief wie geschmiert. Ich war bestens vorbereitet und wusste den Unterschied zwischen Nutz- und Füllwissen. Es entging mir jedoch nicht, dass die Augen des Professors wohlgefällig auf den Froschgoscherl-Rüschen am Ausschnitt ruhten. Ich bestand mit Sehr gut. So hatte mir das Dirndl zum Abschied noch gute Dienste geleistet. Denn bald stand eine Übersiedlung bevor, und ich musterte meinen Gewandbestand aus. Das Dirndl kam nicht mit, sondern landete auf einem Flohmarkt.

© Sonja M. Winkler 2022-02-28

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