Ein loses Mundwerk

CaroLange

von CaroLange

Story

Das auszuhalten braucht es schon einen speziellen Humor. Ich habe wirklich nichts gegen Ersatzteile, aber im Mund brauchen sie eine gewisse, meiner Meinung nach zu lange, Eingewöhnungsphase.

Nachdem die letzten leibeigenen Zahnwerkzeuge mit roher Gewalt entfernt wurden, bekomme ich auf das etwas blutgestillte Schlachtfeld sofort ein Plastikteil in Form von Zähnen draufgepappt. Froh, die Prozedur überstanden zu haben, geht’s ab nach Hause. Vorher noch die Frage, ob ich Schmerzmittel zu Hause habe, andernfalls gibt’s ein Rezept.

Mir ist schon klar, dass die Betäubung Stunde für Stunde nachlassen würde, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Den Rat, die Neulinge so lange wie möglich an ihrem angestammten Platz zu lassen, um Entzündungen zu vermeiden, habe ich noch im Ohr. Kein Rauchen, kein Kaffee, kein Alkohol 2 Tage lang, für raschere Heilung und um Nachblutungen zu vermeiden. Das auch noch, ich weiß aber gleichzeitig, das wird eh nicht klappen.

Nach den 2 Stunden Wartezeit Ess- und Trinkpause, um ein Verschlucken zu verhindern, teste ich, ob meine Lippen schon den Strohhalm dicht halten können, und lösche meinen Durst mit etwas Alkoholfreiem.

In der Nacht werde ich wach, und sehe mich gezwungen, die Neulinge zu entfernen und eine Schmerztablette einzunehmen. Der Geschmack der Blut-Speichelmischung ist auch nicht meins. Aber ich schlafe eine Stunde später wieder ein.

Nach drei Tagen erneuter Versuch die Falschen zu platzieren. Sie drücken nach kurzer Zeit oben und unten, links und rechts, also überall. Meine Ernährung besteht aus Suppen, Johghurts und Kartoffelpürree.

Also ab zum Arzt zur Anpassprobe. Nach einigen Schleifvorgängen drückt es schon merklich weniger, und ich verlasse optimistisch die Praxis. Dass der Ersatz im Unterkiefer eigentlich so gut wie keinen Halt hat, wusste ich vorher. Nur dass er auch bei dem leisesten Huster auf Flugmodus schaltet, war überraschend für mich. Zum Glück hatte ich im Bus die Maske auf, sonst wären sie womöglich auf dem Boden vor all den Leuten gelandet. Masken können also auch vor Blamage schützen.

Auch das Sprechen ist etwas ungewohnt am Anfang. Beim Essen hebt alles, was leicht klebrig ist den Ersatz von seinem angestammten Platz. Will man wieder halbwegs vernünftig essen, ist man gezwungen die Beißerchen mittels Klebstoff (Haftcreme) auf ihren Platz zu verweisen.

Nachdem die Wunden verheilt sind, mache ich mich ans Basteln. Von der Ordination habe ich einige Proben Haftmittel mitbekommen. Genau nach Vorschrift versehe ich die Prothese mit dem Zeug und bin überrascht von dem Ergebnis. Ich kann husten, lachen, niesen und essen, nichts fliegt mehr aus der Verankerung.

Obwohl noch immer gewöhnungsbedürftig, denke ich einfach daran, nie mehr bohren, nie mehr Wurzelbehandlung, nie mehr starke Zahnschmerzen, maximal Druckstellen durch meine neuen Kumpel!

© CaroLange 2021-04-07

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