Ein Marmeladenglas voll Stolz

SophiaSparkles

von SophiaSparkles

Story

Ich taste nach dem Lichtschalter und finde ihn nach ein paar Momenten unverhohlenem Rumgefummel an der Wand. Gibt’s denn sowas? Ich habe so viele Jahre meines Lebens hier verbracht und trotzdem ist es jedes Mal fast ein Ding der Unmöglichkeit den Lichtschalter in Omas Keller gleich beim ersten Versuch zu finden. „Wart, i komm schon!“, ruft meine Oma.

Ich liebe meine Oma. Ganz ehrlich! Sie ist ein wenig schräg, manche würden sie auch als hart beschreiben. Aber neben ihrer schrägen, harten Art ist sie der herzlichste Mensch, den ich kenne und einer dieser Menschen, den ich vermutlich sehr schlimm vermissen werde.

„In da Stadt gibt’s ja keine guten Marmeladen“, murmelt sie, während sie sich an mir vorbei drängt.

Ein bekannter Duft steigt mir in die Nase. Es ist das Parfum, das sie schon seit vielen Jahren trägt. Dieser Duft riecht für mich nach Oma, Streuselkuchen, Wolle und selbstgemachter Himbeermarmelade. Ich lehne mich kurz an die Holzfassade des Kellerabgangs und schaue ihr hinterher. Sie hat adrett zurückgebundenes, graues Haar und für ihre über 70 Jahre sieht sie wirklich sehr, sehr gut aus. Sie trägt eine alte verwaschene Jeans und ein altes Oberteil, dass sie schon ewig hat. Ich kenne dieses Oberteil sehr gut. Es ist fliederfarben und hat einen samtenen Stoff. Mir wäre es für diese Jahreszeit zu heiß, aber meine Oma sagt, ihr wird so schnell kalt. Und sie will nicht krank werden. Wobei sie auch vitaler ist als ich – kein Scherz. Die schleppt Blumenkübel herum, als wären es Federn. Während ich daneben stehe und nach dem zweiten Blumenkübel verzweifelt nach mehr Lungenkapazität flehe.

Ich folge ihr in den dunklen, alten Keller des Hauses. Hier ist alles voll mit Regalen, mit all möglichen selbstgemachten Schätzen meiner Oma: Säfte, Schnäpse, Marmelade und und und. Hier und dort liegen auch alte Spielsache von mir herum. Ich grinse, als ich das kleine Auto mit dem Telefon darauf sehe. Mit dem bin ich herumgedüst und hab ganz laut „HALLO, ist da jemand?” in den Hörer geschrien. Zirka so, wie wenn ich jetzt in der Warteschleife des Internetanbieters hänge. Sie drückt mir zwei Gläser Marmelade in die Hand.

„Do host“, sagt sie und reckt das Kinn nach oben, als wäre sie stolz auf ihre Marmelade und ihren Keller. Kann sie auch sein. Meine Oma ist so stark, sie hat gemeinsam mit meinem Großvater in einer ziemlich harten Zeit vieles aus dem Nichts gestampft.

Sie haben mich aufgefangen, wenn ich keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Sie haben mich aufgefangen, wenn der Himmel zu hoch zum Fliegen war. Ich schaue sie an uns sage: „Danke Oma, du wirst mir fehlen. Ich rufe dich ganz oft an.“

„Is scho okay, Anna“, sagt sie und nickt so leicht, dass ich es fast nicht erkenne. Sie streckt ihre Hand ein wenig nach oben und streicht mit den Fingern ganz leicht über meinen Handrücken. Ein kleiner Schauer geht über meinen Rücken, weil die Berührung so intim ist und mir steigen fast Tränen in die Augen als sie sagt: „I bin stolz auf di.“

© SophiaSparkles 2022-08-04

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