von Isabel Gurschke
Mit einem leisen Knarren und dem scharfen metallischen Schnappen des alten Schlosses schlieĂźt die groĂźe EichentĂĽr hinter mir. Augenblicklich verschwinden das aufgeregte Stimmengewirr, der beiĂźende Geruch von Haarspray und Nagellackentferner, und der wilde Strudel aus TĂĽll, Spitze und Seide.
Nur einen Moment Ruhe, das ist alles, mehr brauche ich nicht. Nur einen Moment.
Einen Moment. Einen Moment. Einen Moment.
Die Worte laufen in Dauerschleife durch meinen Kopf, ein stummes Mantra um mich zu beruhigen.
„Einen Moment wofür?”, eine belustigte Stimme durchbricht das sich immer schneller drehende Karussell meine Gedanken. Mist!
Anscheinend war mein Mantra wohl doch nicht so stumm gewesen wie gedacht.
UnwillkĂĽrlich schĂĽttle ich den Kopf, versuche wieder Ordnung in meine Gedanken und Bewegung in meine vor Schreck erstarrten Glieder zu bringen – am liebsten ohne das meine sowieso schon den ganzen Tag zittrigen Knie endgĂĽltig nachgeben.
Stille.
„Wie auch immer. Sollte das hier dein Moment für einen Nervenzusammenbruch oder Fluchtversuch sein, dann viel Glück! Auch wenn dir weder das eine noch das andere Etwas bringen wird.”, setzt er scheinbar schon gelangweilt nach noch bevor ich auch nur ein Wort herausbekomme. Diesmal kann ich die Stelle ausmachen, von der die Stimme kommt und riskiere einen Blick über meine Schulter.
Darauf hatte er anscheinend gewartet. Er stößt sich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung mit einem FuĂź von der Wand ein StĂĽck den Flur hinab ab, an der er bis jetzt gelehnt hatte. Ich erwartete fast, dass er weggehen wĂĽrde, doch zu meiner Ăśberraschung, und meinem Schrecken, steuert er geradewegs auf mich zu. Sein Gang – selbstbewusst und gelassen – gehört mit Sicherheit nicht zu einem der anderen Ausgewählten, die heute wie ich fĂĽr ihre Zeremonie hier waren. Ausnahmslos jeder von ihnen hatte so ausgesehen, wie ich mich schon seit Wochen fĂĽhle:
Nervös. Verängstigt.
Aufgeregt. Gespannt.
Endlich schaffe ich es, meinen restlichen Körper wieder in Bewegung zu setzten und drehe mich langsam zu dem Fremden um, der weiter auf mich zu schlendert, als hätte er alle Zeit der Welt. Das soll mir nur recht sein! Zumindest gibt mir das die Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten, bevor ich entscheide, ob es nicht klüger ist, so schnell wie möglich wieder zurück in den Umkleideraum zu schlüpfen. Doch sobald er aus den diffusen Schatten in das Licht der Kerzenleuchter zu beiden Seiten der Tür tritt, bleibt mein Blick an den pechschwarzen Augen des jungen Mannes, der kaum älter als ich zu sein scheint, hängen.
Ich war noch nie jemandem mit Dämonenblut begegnet.
© Isabel Gurschke 2022-08-31