Ich hatte mich entschieden. Für meinen Freund, mit dem ich die Hochzeitsreise ohne Trauschein gemacht hatte.
Der Mann, den ich während der Abwesenheit meines Freundes kennengelernt hatte, verschwand nicht sofort aus meinem Leben. In Gedanken war ich manchmal noch bei ihm. Wir trafen uns auch manchmal. Mit dem Wissen meines Freundes. Wir hatten zwar nie über das Thema TREUE gesprochen, aber ich fühlte mich dazu verpflichtet, meinem Freund sexuell treu zu sein. Von keinem anderen Mann ließ ich mich mehr berühren. Mein Freund war in mich verliebt, investierte Gefühle in mich und in die Beziehung, die sehr körperlich war. Stundenlang lagen wir dicht aneinander gekuschelt im Bett und holten scheinbar vieles nach, was wir in unseren emotional unterkühlten Kindheiten vermisst hatten. Für mich war diese körperliche Nähe heilsam und brachte meine eisgekühlten Gefühle zum Schmelzen. Die Seele taute auf und lange verdrängter Schmerz wurde wieder fühlbar. Tränen flossen wieder. Aus heutiger Sicht muss das meinen Freund sehr verstört haben. Er verstand nicht, mit einer traumatisierten Frau wie mir umzugehen. Er war hilflos. Er wollte mich glücklich machen. Er nahm mich mit in seine Therapiegruppe. Er vereinbarte einen Termin bei einem Sexualtherapeuten. Dort sagte ich kein Wort. Zwei Therapeuten saßen mir gegenüber und wollten mit mir über meine sexuellen Probleme reden. Eine meiner schlimmsten peinlichsten Situationen in meinem Leben. Die Therapiestunde wurde vorzeitig abgebrochen.
Wir gingen nach Hause.
Seit einigen Monaten lebten wir in einer gemeinsamen Wohnung. In einer dunklen, ruhig gelegenen Altbauwohnung in der Neubaugasse. Unsere Studentenheime hatten wir verlassen. Wir hatten keine Einzelzimmer. Wir wollten aber ungestört zu jeder Tages- und Nachtzeit zusammen sein. Für mich war diese beständige intensive Zuwendung heilsame Energie und gleichzeitig ein kleines Gefängnis. Noch war ich jung. Ich hatte Angst, in meinem Leben etwas zu versäumen. Ich wollte ausgehen und etwas erleben.
Meinem Freund hatte ich zwar erzählt, dass ich in seiner Abwesenheit andere Männer kennengelernt hatte und mit ihnen ausgegangen war, aber Details hatte ich nicht preisgegeben. Erst Monate später fühlte ich mich dazu verpflichtet, ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Er war betroffen, schockiert. Ich fühlte mich schuldig. Hatte Angst, ihn zu verlieren. Die erste schwere Beziehungskrise.
Wir überwanden die Krise. Ich lernte daraus, ich müsse ihm treu sein. Und ich nahm das sehr ernst. Ich lernte zwar immer wieder Männer kennen, aber von keinem ließ ich mich berühren.
Ein anderes Problem war das Geld. Ich hatte keines, zumindest kein eigenes. Ich war Studentin und von den Geldzuwendungen meiner Eltern abhängig. Meine Mutter versuchte mich zu erpressen, mir nur dann Geld zu geben, wenn ich nach Hause käme. Ich fühlte mich zu Hause nicht wohl. Die Luft zum Atmen war dünn geworden.
Der Abschied von meinen Eltern hatte begonnen.
© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2020-12-11