von Amelia Autumnia
Wenn die Tage kĂŒrzer werden und die NĂ€chte lĂ€nger, macht sich in meiner Magengrube leichte NervositĂ€t breit, denn ich weiĂ: Ich sehe Dich wieder. Kann mich in deinen Armen geborgen fĂŒhlen, deinen sĂŒĂen Duft inhalieren und dabei deine bunten StrĂ€hnen streicheln.
Herbst, mein Liebster, ich grĂŒĂe dich.
Obwohl ich schon eine kleine Ewigkeit auf diesem Planeten bin, fĂŒhle ich mich mit dir wie neu geboren. Mit dir bin ich Erwachsener und Kind zugleich, wenn wir uns mit einem farbenfrohen Drachen in stĂŒrmische LĂŒfte erheben oder bei einer Tasse Tee philosophieren ĂŒber den Tod & das Leben.
Ach⊠diese unvergesslichen SpaziergĂ€nge mit dir. Welch Farbenschauspiel wir jedes Mal erleben: Rote, gelbe, braune und orange BlĂ€tter lösen sich federngleich von den Ăsten der BĂ€ume und hĂŒllen den Boden ein wie eine wĂ€rmende Decke. Zwischendurch kommt diese typische Brise auf und hebt einzelne BlĂ€tter auf den Wegen sachte an. Als wĂŒrden Millionen von Schmetterlingen nebeneinander sitzen und sanft mit ihren FlĂŒgeln schlagen. Und dann noch dieses vertraute und angenehme Rascheln, wenn man durch die herabgefallenen Laubmassen hindurch stapft. Swoosh, swoosh, swoosh. Am liebsten wĂŒrde ich in dieses unendliche BlĂ€ttermeer eintauchen und mich fĂŒr immer darin treiben lassen.
Herbst, ich wĂŒrde alles fĂŒr dich tun, wĂŒrde mich zum Affen machen, dich Tag und Nacht verehren. Ich wĂŒrde dir ein Denkmal bauen und dir deine gefallene BlĂ€tterkrone bis ans Ende der Welt hinterhertragen. Du lĂ€sst mich alles herum vergessen, gibst mir köstliche Speisen zu essen. Klopfst ĂŒberraschend an meine WohnungstĂŒr, bringst Lampion- und Sonnenblumen mir. Ich könnte noch 1000 Liebesbriefe an dich schreiben, ĂŒber dich Gedichte reimen.
An jedem 1. November, wenn du fest meine Hand umgreifst, wĂ€hrend ich am Grab meiner Verwandten stehe, denke ich daran, dass sich auch unsere Wege eines Tages fĂŒr immer trennen werden. Deshalb nutzen wir doch die gemeinsamen Stunden, solange es geht und schreien lauthals: Carpe diem!
Oftmals halten mich die Leute fĂŒr durchgeknallt, wenn ich ihnen mit strahlenden Augen von dir erzĂ€hle. Ich bin ehrlich zu dir: Die meisten meiner Freunde sprechen abfĂ€llig ĂŒber dich. Aber die haben doch keine Ahnung! Herbst, ich liebe deine positiven genau so sehr wie deine negativen Seiten, denn ich weiĂ, jeder von uns hat StĂ€rken & SchwĂ€chen, gute & weniger gute Tage. Ich nehme dich so wie du bist, weil du dasselbe bei mir tust. Unsere Herzen schlagen im Gleichklang â das spĂŒre ich jedes Mal, wenn wir uns gegenĂŒberstehen.
…
Nach einigen Wochen, weil die Zeit schon wieder viel zu rasch verflogen ist, musst du gehen. Und mir bleiben bloĂ gemeinsame Fotos, gesammelte BlĂ€tter & Kastanien als Andenken an die Zeit zu Zweit â und die Hoffnung, dich nach diesem Abschied im nĂ€chsten Jahr wiederzusehen.
Und wenn ich dann allein drinnen am Schreibtisch sitze & im Hintergrund dein LieblingsstĂŒck von Vivaldi lĂ€uft, merke ich, wie sehr du mir fehlst.
© Amelia Autumnia 2020-10-19