Es war eine Qual als mein Wecker klingelte und ich aufstehen musste. Ich bezweifelte, dass an diesem Morgen mehrere Tassen Kaffee helfen würden. Dennoch schleppte ich mich zur Arbeit und verdrängte jeglichen Gedanken an meinen seltsamen Traum von letzter Nacht. Ich war gerade bei meiner vierten Tasse angelangt, als plötzlich die Türglocke erklang. Ein flüchtiger Blick bestätige mir, dass es ein Kunde war. „Einen Moment, ich bin gleich bei Ihnen“, rief ich und trank hastig den Rest meines Kaffees aus „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, sprach ich meinen neuen Kunden an. Der junge Mann vor mir zuckte zusammen, dann richtete er sich auf und sein Blick fiel auf mich. Das erste, was mir auffiel, war der seltsame Schimmer in seinen stechend grünen Augen. Das zweite waren seine markanten Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen und die leicht schräg stehenden Augen, die seinem Gesicht etwas Katzenhaftes verlieh. Unter anderen Umständen hätte ich ihn als attraktiv bezeichnet und ihn bei einer passenden Gelegenheit im Pub angesprochen, doch seine gesamte Ausstrahlung hatte etwas an sich, das ich nicht genau einordnen konnte. Schnell setzte ich ein höfliches Lächeln auf.
„Ähm… ja…“, stotterte der Mann. Er musterte mich, bevor er weitersprach. „Ich suche nach…“ Wieder unterbrach er sich. „… nach einem Geschenk.“
„Für jemand Bestimmest?“, fragte ich mit meiner besten Verkäuferinnenstimme.
„Für eine Freundin“, warf er ein. Ich nickte nur, dann bat ich ihn mir über die Wendeltreppe in das Obergeschoss zu folgen.
„Besitzt Ihre Freundin eine besondere Vorliebe? Einen Autor oder ein bestimmtes Thema?“
„Ich kenne mich persönlich nicht so gut aus, aber sie besitzt eine Sammlung von Walter Scott.“ Ich konnte nicht anders, wirbelte herum und sah den Mann erstaunt an. Seine Freundin schien einen besonderen Geschmack zu haben.
„Ein Autor der Romantik“, entfuhr es mir. „Einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit und seine historischen Romane sind zu Klassikern geworden.
„Äh… ja“, murmelte der Mann nur neben mir.
„Ich suche Ihnen etwas heraus, aber da ich nicht weiß, welche Werke ihre Freundin bereits besitzt, hätte ich vielleicht auch noch eine andere Idee.“ Mein Kunde nickte nur und ich machte mich auf die Suche. Immer wieder glitt mein Blick zu dem Mann. Ich betrachtete ihn einen Augenblick lang eindringlicher und überlegte, ob er überhaupt freiwillig ein Buch in die Hand nehmen würde, als er nach einem Einband griff. „Das ist die viktorianische Epoche und nicht die Romantik“, warf ich ein. „Wenn Sie ein Buch von Oscar Wilde, Charles Dickens oder Arthur Conan Doyle suchen sind Sie dort richtig.“ Der Mann wankte ein paar Schritte zurück und schaute mich irritiert an. Es war fast so, als hätte ihn ein Schlag getroffen, dann auf einmal wandte er sich zum Gehen. „Ich glaube ich habe es mir anders überlegt“, sagte er und ich konnte ihm nur noch hinterhersehen, wie er die Wendeltreppe hinablief und eilig das Geschäft verließ.
© Lisa Schulz-Wordell 2022-08-22