Ein Schiff fuhr nach Shanghai

Anton Dobrowsky-Ziegelmayer

von Anton Dobrowsky-Ziegelmayer

Story

An einem Samstagabend hatte ich meinen besten Kumpel zu Gast. Wie ĂĽblich ein paar Bierchen gepaart mit mehr oder weniger sinnhaftem Jungmänner-Gequatsche. Nach ein wenig Sinnieren was das Leben wohl noch bringen wĂĽrde, war fĂĽr uns beide klar – wir wollten die Welt sehen, reisen, Abenteuer erleben! Dann die Idee! Könnten wir nicht auf einem Schiff anheuern? Als Matrose, Deckschrubber, was auch immer. So schwer konnte das doch nicht sein!

Am Montag setzten wir das Vorhaben in die Tat um. Wir riefen die deutsche Botschaft an und erfragten Telefonnummern von Reedereien in Hamburg (mangels Internet, das es damals noch nicht gab). Dort war man tatsächlich hilfsbereit. 30 Minuten später waren wir ausgestattet mit einigen Telefonnummern. Nach fünf Anrufen tatsächlich, Volltreffer! Ein Reeder teilte uns mit, dass am Mittwoch in zwei Wochen ein Schiff nach Shanghai ablegt. Wenn wir einen Tag davor bei ihm sind, wären wir fix dabei. Tätigkeit und Bezahlung waren für uns in dem Fall sekundär, wir fragten nicht einmal danach. Wir wären sicherlich nur einfache Hilfsarbeiter. Aber wen störte es? Wir waren dabei und nur das zählte!

Am Abend wurde meine bemitleidenswerte Mutter in die Sache eingeweiht. „Ich geh‘ ĂĽbernächste Woche auf ein Schiff und fahr‘ nach Shanghai. Der Karl ist auch dabei, das wird super!“ Anfangs dachte sie an einen Scherz, am Ende des Gespräches war ihr aber klar, dass ich beim besten Willen nicht scherzte. Das groĂźe Abenteuer war einfach zu verlockend. Auch hatte ich nicht die geringste Angst. Was sollte schon passieren? War die Ăśberfahrt furchtbar, stiege ich in Shanghai einfach ins nächste Flugzeug und flöge nach Hause. War es aber toll (und das erwartete ich) ging es weiter mit dem nächsten Schiff nach Irgendwohin. Mein Leben als Matrose konnte beginnen!

Karl und ich waren vor Vorfreude außer Rand und Band. Noch 15 Tage, dann stachen wir in See! Wir zählten die Tage. Die folgende Woche noch viel feiern und von allen Kumpels verabschieden, am Montag Abfahrt per Bahn nach Hamburg. Am Dienstag mussten wir beim Reeder sein, am Mittwoch legte das Schiff ab und das große Abenteuer begann.

Doch plötzlich, noch in der selben Woche erhielt ich Post.

„Sehr geehrter Herr! Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass Ihre Bewerbung bei unserem Unternehmen erfolgreich war.“ Mit Beginn des kommenden Monats sollte ich bei einer Versicherung als Trainee für den Außendienst anfangen. Ausbildung in der Konzernzentrale, Kundenstamm, Fixum, Provision, Angestelltenverhältnis. Ein echter Beruf mit Zukunftsaussichten, Aufstiegs-Chancen, allem „Drum und Dran“. Was nun? Versicherung oder Schiff?

Heute bereue ich zutiefst, dass in diesem Augenblick die Vernunft gewann, und mich vielleicht um das größte Abenteuer meines Lebens brachte. Jedenfalls fuhr das Schiff am Mittwoch ohne mich nach Shanghai. Ich wurde Versicherungsvertreter. Der Beginn einer endlos werdenden Berufslaufbahn.

© Anton Dobrowsky-Ziegelmayer 2020-07-23

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