Meine Großmutter stirbt. Das tut sie nun schon seit längerem und der Schmerz, der durch die Familie fährt, ist so divers wie ein queerer Berliner Nachtclub. Besonders hart trifft es meinen Vater, der sich einerseits vorbildlich um sie kümmert und andererseits mit den Alltäglichkeiten des Lebens überfordert ist. Und wie man es dann eben als guter Sohn macht, fährt man zu ihm, um ihn zu unterstützen. Zu Kochen und Kleinigkeiten zu erledigen, damit er sich um das Wesentliche kümmern kann: seine Mutter. Und trotzdem keimt in mir nicht das Gefühl auf, ein guter Mensch zu sein. Innerlich fräst sich ein Gedanke immer tiefer in mich hinein. Lass sie sterben. Warum kann sie nicht sterben. Nicht für sie, sondern für alle anderen. Egoistisch nicht wahr. Da wünscht man glatt seiner Großmutter den Tod. So oder so, wir müssen alle sterben, aber dann doch lieber schnell und so, dass die Familie möglichst wenig betroffen ist. Und dann die gute Nachricht. Sie hat dem Tod wieder ein Schnippchen geschlagen. Diesmal ist es nicht so weit und ich werde wieder nach Hause fahren, auf den unvermeidlichen Anruf warten, dass es jetzt endlich so weit ist. Diesmal aber wirklich! Es ist bald vorbei. Sie liegt im Sterben. Und innerlich werde ich wieder darüber nachdenken, wieso mir ständig der Gedanke kommt, dass es besser wäre, wir hätten das alles hinter uns. Ein schlechter, ein egoistischer Mensch also, der in erster Linie darauf bedacht ist, sich nicht diesen Strapazen hingeben zu müssen. Ich habe mich verabschiedet, selbst wenn mir bewusst ist, dass sie aufgrund ihrer Demenz vermutlich gar nicht mitbekommen hat, wer ich bin und was ich überhaupt von ihr möchte. Und da ist es auch schon wieder: Dieses eine Wort, dass mich meinen Kopf wie ein wilder Axthieb spaltet und das Blut über mich sickern lässt: vermutlich. Vielleicht. Womöglich, denn wie bei Schrödinger ist ja alles möglich, immerhin kann ich nicht in sie hineinsehen, geschweige denn verstehen. Die Tage werden vergehen. Einer nach dem anderen. Dann kommt der Frühling, der Sommer, Herbst und Winter und möglicherweise ist uns ein weiteres Weihnachten gegönnt, in der ich Suppe für alle koche und mich daran erfreue, dass es auch ihr schmeckt. Und werde vermutlich trotzdem ständig den Gedanken haben, wann es denn endlich so weit ist. Nicht für sie, Nichteinmal für meinen Vater. Nur für mich, denn ich bin kein guter Mensch, auch wenn ich ständig versuche, mich selbst vom Gegenteil zu überzeugen.
© David-Rosterberger 2025-01-26