von Daniela Neuwirth
„Klagen könnte man ohne Ende“, äußert sie gegenüber Anwalt X, als sie auf mindestens 950,- € Schaden kommt, den der falsch frankierte, private Einschreiben-Brief an ein Bezirksgericht verursachen wird, weil er nach 3 Monaten zurückkam, welcher gerade ein Schreiben zurückbringt, auf dem der Abschrift-Stempel auf der Anlage Kopf steht. „Sieht doch witzig aus”, denkt sie sich, aber ändert dies natürlich sofort, damit die Seriosität des Schreibens nicht verloren geht.
Der sichere Griff zum richtigen Stempel in der richtigen Positionierung funktioniert nur, wenn andere auch die Stempel richtig reinhängen. Doch was ist schon richtig, der eine ist Linkshänder und die andere nicht. Herr G. hat schon seine graue Mütze auf, weil er eigentlich bereits am Sprung nach Hause ist, doch ist ihm noch etwas eingefallen und so eilt er hinter ihr vorbei, natürlich mit einem kontrollierenden Blick auf ihren Bildschirm.
Das merkt sie aber erst, als: „Wenn ich nur wüsste, was dieses beA eigentlich heißt?” Er bekommt aus zwei entgegengesetzten Räumen gleichzeitig Antworten. Lilly bricht gleich nieder vor Variantenvielfalt, die ihr durch den Kopf schießt. Da wären z. B. „bitte ein Angebot”, „beim Eigentor ausgeschieden”, „blaue erotische Augenblicke“, „begehrte einzelne Antiquität”, „bester englischer Anfänger”, „bitte einen Anwalt”, „bärtige eiskalte Artischocke“…
Sie ist sich sicher, er spaßte nur herum, doch dann: „Wenn sie wüssten, was heute hier schon los war“, macht er sie neugierig. „Hmm, was kann es gewesen sein?“, überlegt sie. „War es das Pferd?“ „Nein.“ „Ahh. Was dann?“ „BB entwickelt ein Eigenleben!“ Er spricht in Rätseln, als stünde sie vor einer altägyptischen Mauer, in die geheimnisvolle Bildzeichen eingeritzt sind.
Er gibt nichts weiter preis, sondern macht sich „vom Acker“, lässt sie unwissend zurück. Wenn sie aber eines weiß, dass sich BB gerade im Jahr 2041 befindet – seiner Ansage nach. Sie wundert sich über nichts mehr, aber spinnt den Faden 20 Jahre weiter. „Wo ich da wohl sein werde? Und die Kinder?“ Sie stellt erschrocken fest, dass diese auch nicht für immer so jung und frisch bleiben, wie sie gerade noch sind. „Wie werden die leben wollen? Was brauchen sie dazu noch?“ Im Jahr 2041 ist sie jedenfalls 68 und die beste Oma der Welt mit einem eigenen Atelier, vielen Büchern, Hunden und Katzen, sowie einem fruchtbaren Garten.
„Was ich bis dahin noch alles erleben werde?“ Mit dem bezaubernden Strand in der Nähe kann vorerst mal nichts schief gehen. Als sie von ihrem Tagtraum erwacht, steht Herr G. wieder im Raum beim Kollegen. Er ist noch einmal zurückgekommen.
„Weiß die Kollegin Bescheid?”, hört sie ihn und mischt sich ein, als in dritter Person über sie gesprochen wird, während sie daneben sitzt. „Meinen Sie den Geburtstag morgen, der eigentlich schon im Januar stattgefunden hat? Dann ja.“ „Gut.“ Er ist zufrieden und geht zum zweiten Mal durch die Ausgangstür.
© Daniela Neuwirth 2021-03-16