von Raphael Stompe
“Ich weiß nicht mehr, was ich schreiben soll!” Der Ruf hallt durch die ehrwürdigen Hallen meiner Arbeit, ohne auf resonante Ohren zu treffen. Ich bin verzweifelt. Hatte ich bislang die Kreativität mit dem Löffel gegessen, oder eher, sie mich, so war ich jetzt Opfer einer langgezogenen Durststrecke. Was war geschehen? War die Welt untergegangen? Hatte Russlands Desinformations- und Verwirrungskampagne etwa auch mein verteidigungsarmes Gehirn erreicht? Ich seufze, ich stöhne gequält, ich wälze mich auf dem Boden – ich bin knapp davor zu Flüssigkeit zu werden und durch das Parkett zu sickern, als mir mit einem Mal etwas klar wird: Sind wir nicht alle Kinder unserer Zeit? Langsam verfestige ich mich wieder und kehre auf meinen Bürostuhl zurück. Kinder unserer Zeit. Kinder der Zeit. Mit anderen Worten, sind wir ein Stückchen Unendlichkeit. Was für eine wunderschöne Feststellung. Was auch immer in unserer Zeit passiert. Wir ein Teil des Ganzen. Toll. Jetzt, endlich, erlaube ich mir meine Askese loszulassen und nippe zufrieden an meinem Kaffee. Ein guter Text fängt doch immer mit einer ausgezeichneten Erkenntnis an. Mein Telefon klingelt. Ich sehe auf den Namen und hebe ab: “Ja?”
“Hast du schon das Neueste gehört?”, säuselt die Frauenstimme ins Telefon.
“Nein. Klär mich auf”, seufze ich.
“Hab ich gerade zugeschickt bekommen. Der Präsident der Ukraine – ist ein Echsenmensch”, platzt es sensationsgeil auf der anderen Seite heraus.
“Selenskyj?”, frage ich abwesend.
“Du darfst seinen Namen nicht aussprechen!”, zischt die Dame auf der anderen Leitung.
“Wieso, ist er auch noch ein böser Zauberer aus dem Harry Potter Universum?”, frage ich etwas zu schnell.
Auf der anderen Seite des Telefonats seufzt es. Ich warte. Es seufzt nochmal.
“Ich hab gewusst, dass du das nicht ernst nimmst, deshalb habe ich dich persönlich angerufen.”, stellt die Stimme trocken fest.
“Um mich zu überzeugen?”, frage ich.
“Ja”, wird geantwortet.
“Hm”, ich atme einmal tief durch. “Nein. Das glaube ich nicht.”
“Jetzt hör mal, alles deutet darauf hin! Du willst es einfach nicht sehen!”, brüllt sie jetzt durch das Telefon. Ich halte den Hörer sicherheitshalber auf Abstand, falls sie es irgendwie schafft, daraus hervorzuspringen.
“Was ich sehe, ist, dass mich die erneute Amtsernennung von Präsident Trump sehr stark an Star Wars: Die Rache der Sith erinnert. Vielleicht ist Selenskyj ja kein Echsenmensch, sondern ein Jedi-Ritter?”
Ein Hörer wird in seine Gabel geknallt und es piept. Ich seufze und lege meinerseits auf. Der Kaffee sieht mich mitleidend an. Ich winke lächelnd ab, aber trotz aller Bravour und Heldenhaftigkeit, die meine Außenhaut zutage legt, kuschelt sich ein seltsames Gefühl um mein Herz. Ein vernachlässigter Eiszapfen, der nach ein wenig Wärme sucht. Wie ist unsere Welt nur so geworden? Und: Wer hätte geglaubt, dass die alten James Bond Filme plötzlich wieder dermaßen an Aktualität dazugewinnen würden?
Naja. Zumindest sind wir alle Ewigkeit.
© Raphael Stompe 2025-03-11